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Ausnahmezustand

Im Jahr 1998 war noch nicht daran zu denken, dass nur drei Jahre später die berühmten Zwillingstürme im Herzen von Amerika einstürzen und man sich kurz darauf im Irakkrieg befinden würde - ein Schreckensszenario, welches so unreal wirkte, dass man es kaum glauben mochte. Der Film "Ausnahmezustand", der eben dieses Szenario, wenn auch noch wesentlich enormer ausgearbeitet, anpackt und weiterdenkt, schmierte damals an den Kinokassen ungemein ab, wahrscheinlich, weil sich die amerikanischen Zuschauer ein ebensolches noch nicht ausmalen konnten. Drei Jahre später konnten wir einige der erschreckenden Bilder aber mehr als nur nachempfinden und der Film erhielt plötzlich, auch wenn er innerhalb seines Plots doch gern mal ein paar Schritte zu weit geht, eine ganz neue Aktualität. Gut ist "Ausnahmezustand" darüber hinaus auch heute noch, wenn auch nicht frei von Schwächen...

AUSNAHMEZUSTAND


FBI-Agent Anthony Hubbard (Denzel Washington) sieht sich in New York mit einer Reihe beunruhigender Anschläge konfrontiert. Anscheinend scheint eine Gruppe unerkannter Männer die Regierung zu bedrohen, da sie auf die Freilassung eines gefangenen Kameraden pochen... und diese Drohungen werden alsbald auch in die Tat umgesetzt. Während Hubbard mit seinem Team nach den Drahtziehern sucht und dabei gegen eine tödliche, tickende Uhr angehen muss, muss er sich auch mit Elise Kraft (Annette Bening) vom Nationalen Sicherheitsrat auseinandersetzen, die sich in die Ermittlungen einmischt und offensichtlich den Befehl übernehmen will. Um gegen den gemeinsamen Feind vorzugehen, müssen sich beide wohl oder übel zusammentun...

Dass der Film im Jahr 1998 floppte ist sogar ein wenig nachvollziehbar, denn die Situation, auf die er mit der Zeit hinsteuert, wirkt sogar aus heutigen Gesichtspunkten etwas abstrakt. Nicht in seinen einzelnen Dramen, sondern eher im Großen und Ganzen, wobei ich auf Details verzichte, um den Nichtkennern hier nicht das Vergnügen zu verderben. Und trotzdem hat das Werk seit den Anschlägen des 11. September 2001 eine neue Aktualität erreicht, die zumindest in Ansätzen erstaunt... und erstaunlich ist dabei auch, wie klug er damit umgeht. Dass ein Film wie dieser auf Kontroversen stoßen würde, war sicherlich unvermeidlich, dass er aber dennoch politisch keine unbedingte Position bezieht, weder Christen noch Muslime zu Guten oder Bösen klassiert, das muss man ihm irgendwie hoch anrechnen. Der Feind ist dabei keine ganze ethnische Gruppierung, handelt es sich doch um einzelne Täter... und da ist es vollkommen gleich, aus welcher Religion diese entstammen. 
"Ausnahmezustand" hat sich mit diesen Themen sicherlich auf glattes Eis bewegen, zieht sich aber gut aus der Affäre, ohne sich irgendwo anzubiedern oder gleich vollkommen Schiffbruch zu erleiden - es ist schön zu sehen, dass der Patriotismus hier gleich ganz steckengelassen wird, denn das hätte einem Film wie diesen sicherlich gleich das Genick gebrochen. Darüber hinaus ist "Last Samurai"-Regisseur Edward Zwick dann auch noch ein spannender Action-Thriller gelungen, der mit überraschenden Wendungen, hohem Tempo und packenden Konflikten überzeugt und dem Publikum auch ordentlich was zumutet. Viele dürften sich angesichts der teils sehr drastischen Bilder, mit denen die verschiedenen Anschläge auf das freie Amerika hier gezeichnet werden, schaudernd abwenden, der Mut, solcherlei aber so aufzuzeigen, ist bewundernswert... auch wenn in einigen Momenten etwas weniger mehr gewesen wäre. Ob man noch verstümmelte Leichen oder eine Frau mit abgerissenem Arm, die traumatisiert die Treppe heruntertorkelt, zeigen muss, das darf diskutiert werden, aber man muss dem Film zugute halten, dass er keine Schönmalerei betreibt. 
Die Actionszenen an sich fallen gering aus, verfehlen darüber hinaus aber ihre Wirkung nicht - Zwick gelingt eine schnörkellose Inszenierung, die er seinem Plot unterordnet. Dabei hat er aber nicht genügend Zeit, um sich auch seinen menschlichen Figuren ausreichend zu widmen. Gerade über die Hauptfigur erfährt man zumindest auf persönlicher Ebene so gut wie gar nichts, obwohl "Deja Vu"-Star Denzel Washington ihm mit seiner energetischen Performance sehr viel Profil verleiht. Etwas schlimmer sieht es da noch bei Annette Bening aus, die sich mehr als nur müht, allerdings übertreibt es das Skript mit ihrer doppelbödigen Figur dann auch etwas. Eine längere Laufzeit wäre angesichts der etlichen Subplots (selbst im letzten Drittel kommen noch welche hinzu, die dann im Eiltempo abgefrühstückt werden müssen) sicherlich passend gewesen, so schlittert "Ausnahmezustand" quasi rasend durch den Plot, um am Ende vollkommen abrupt auszulaufen. Das ist dramaturgisch durchweg packend, in vielen Momenten aber auch etwas zu wirr und letztendlich auf menschlicher Ebene etwas zu blass.

Fazit: "Ausnahmezustand" ist politisch ein Wagnis, wobei man es sich hier auch nicht zu einfach macht, unbequeme Fragen stellt und dem Zuschauer schockierende Bilder zumutet. Als reiner Thriller ist der Film spannend genug, um den Zuschauer am Ball zu behalten, fährt seine menschlichen Figuren und etliche Subplots im Getöse aber an die Wand, da für sie keinerlei Zeit mehr bleibt.

Note: 3+




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