Thriller sind verflixt schwer zu schreiben, besonders wenn sie sich dazu veranlassen, einen Blick hinein in die Psyche des Menschen zu werfen. Es braucht diese besonderen Wendungen, die man als Zuschauer nicht vorherahnt, die aber dennoch nicht wie billig und unvorbereitet aus dem Hut gezaubert werden dürfen. Es braucht einen stimmigen Plot, vielleicht mit falschen Fährten, vor allem aber mit einem runden Gesamtergebnis. Und es braucht hinter der Kamera Menschen, die etwas von einer Inszenierung dieser Form verstehen. Es kommt also schon einiges zusammen und man versteht, warum Filme wie "Black Swan" oder "Sieben" grandiose Ausnahmen blieben. Auch "Fractured" will offenbar in diesem Becken mitschwimmen, leider mangelt es dem Netflix-Original aber an einer fokussierten Note und einer glaubwürdigen Auflösung der Geschehnisse.
FRACTURED
Ray Monroe (Sam Worthington) ist mit seiner Frau Joanne (Lily Rabe) und der gemeinsamen, sechsjährigen Tochter Peri (Lucy Capri) auf dem Heimweg, nachdem sie zu Thanksgiving bei Joannes Eltern vorbeigeschaut haben. Während einer Rast hat Peri einen Unfall und bricht sich den Arm, weswegen Ray rasch das nächstgelegene Krankenhaus ansteuert. Dort herrscht Hochbetrieb und die Familie muss sich gedulden, bis Peri endlich behandelt und anschließend wegen einer möglichen Kopfverletzung zum CT gebracht werden kann. Als Ray Stunden später aus einem Nickerchen erwacht, fehlt von Peri und Joanne plötzlich jede Spur... und das Krankenhauspersonal ist der Annahme, dass beide niemals hier waren und Ray stattdessen alleine behandelt wurde.
Regisseur Brad Anderson gelingt es in seiner düsteren Inszenierung recht gut, Unwohlsein zu erzeugen. In farbentsättigten Bildern, mit langsamen Kamerafahrten und stets ganz nah dran an seinem Hauptdarsteller erzeugt er auch beim Zuschauer das Gefühl, sich bei den Dingen, die er hier meint aus erster Hand zu sehen, nie ganz sicher zu sein. Ob Ray Monroe hier tatsächlich schlichtweg den Verstand verloren hat oder ob in diesem seltsamen Krankenhaus, in welchem jeder Satz aus dem Mund des fadenscheinig freundlichen Doktors irgendwie seltsam klingt, tatsächlich jemand ganz üble Sachen vorhat. Rein atmosphärisch kann man "Fractured" an dieser Stelle auch nichts vorwerfen, denn Anderson hat seine Inszenierung gut im Griff, auch wenn an einigen Stellen weniger doch mehr gewesen wäre, man es mit den wilden Schnitten und dem immer lauter aufspielenden Soundtrack von Anton Sanko etwas übertreibt.
Als Zuschauer selbst hakt man dann auch recht flott all das ab, was hier nun gespielt werden könnte und kommt irgendwann zu den übrigen Prämissen. Wer schon mal den ein oder anderen Mystery-Thriller gesehen hat, dem dürfte recht schnell klar sein, welcher Hase hier in welche Richtung läuft, weswegen die große Überraschung am Ende ausbleibt. Tatsächlich gelingt es den Machern sogar, die Auflösung zu verschlimmbessern, denn sobald man glaubt, ein zwar vorhersehbares, in sich aber stimmiges und herrlich böse-ironisches Ende gesehen zu haben, setzen die Macher, um den Zuschauer gleich doppelt zu linken, einfach noch eine weitere Wendung oben drauf. Mit dieser haben Genre-Kenner aber eben auch schon gerechnet und da diese daher nicht überraschend kommt und noch dazu angesichts etlicher vorhergehender und nun deutlich zu erkennender Logiklöcher einfach schlecht geschrieben ist, ist man schon etwas unterwältigt, wenn der Abspann nach rund 100 Minuten rollt.
Und deswegen wird "Fractured" auch nicht unbedingt positiv in Erinnerung bleiben, lebt ein solcher Psycho-Thriller doch zu großen Teilen von einer stimmigen Auflösung der Geschichte. Etliche Seltsamkeiten aneinanderreihen und diese nicht passend unter einen Hut zu bringen, das kann schließlich jeder - die Kunst liegt darin, dass es am Ende stimmt und man einen solchen Film vielleicht noch etliche Male ansehen kann, um clevere Hinweise zu enträtseln und zu verstehen. Wie man dies richtig angeht, hat beispielsweise M. Night Shyamalan vor zwanzig Jahren in dem meisterhaften "The Sixth Sense" bewiesen. Bis man an diesen Punkt angelangt ist, hat man aber zumindest spannende achtzig Minuten erlebt. Einige Klischees muss man zwar schlucken, generell ist das durchgehende Gefühl der Bedrohung und der latenten Unsicherheit aber atmosphärisch tragend. Und auch "Terminator"-Star Sam Worthington, der ja nun nicht unbedingt als Ausnahmeschauspieler bekannt ist, macht seine Sache angesichts dessen, dass er den Film über weite Strecken alleine tragen muss, wirklich nicht schlecht.
Fazit: "Fractured" ist leider nicht so clever wie gerne wäre - viele der Wendungen sieht man als Genre-Kenner schon lange voraus kommen, da Regisseur Brad Anderson die Hinweise nicht gut genug verschleiert. Atmosphärisch ist ihm aber ein durchaus spannender Thriller mit interessanten Ansätzen gelungen, die zu fesseln wissen.
Note: 3
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