Im Jahr 2011 verändert sich das Leben von Fern (Frances McDormand) radikal - sie verliert sowohl ihren Mann an eine schwere Krankheit und dann auch noch ihren Job in einer Mine, die stillgelegt wird. Fern versucht daraufhin, der Gesellschaft, die immer mehr Druck aufbaut und Arbeiterinnen wie sie an den Rand drängt, zu entfliehen und wird eine Nomadin. Mit ihrem Van reist sie diversen Arbeitsmöglichkeiten im ganzen Land hinterher, landet schließlich als Verpackerin bei Amazon. Richtig halten tut sie nirgends etwas - Fern lebt in den Tag hinein, lernt Menschen kennen, die sie wieder verlassen. Kein richtiges Ziel, keine geplante Route. Als sie den charmanten David (David Strathairn) kennenlernt, gelangt Fern an einen Punkt, an dem sie das Nomadenleben hinter sich lassen und gar sesshaft werden könnte - doch will sie das wirklich?
Im Frühjahr 2021 räumte "Nomadland" bei den Oscars insgesamt drei Goldstatuen ab - darunter auch den Hauptpreis für den besten Film. Und tatsächlich fügt sich das Werk ziemlich zielgenau in das ein, was die Academy so mag: Menschliche, oftmals ganz leise Geschichten; eine starke, selbstbestimmte Frau in der Hauptrolle; und natürlich auch ein wenig amerikanische Geschichte. Regisseurin Chloe Zhao, die auch den Marvel-Film "Eternals" inszeniert und diesem wohl auch ihren eigenen Stempel aufgedrückt hat, hat aber definitiv nicht den besten Film des Jahres abgeliefert hat - vielleicht auch, weil sie die gestellten Erwartungen immer wieder unterläuft. So birgt fast alles an "Nomadland", jede Handlung und auch jede Hauptfigur ein gewisses Konfliktpotenzial, welches Zhao aber absichtlich nicht ausschöpfen will. Sie will nicht erzählen, wie sehr die generelle Gesellschaft diese Nomaden quasi an den Rand des Lebens zwingt, sondern entscheidet sich für einen beinahe dokumentarischen Einblick in diese uns völlig fremde, manchmal auch eigenartig wirkende Welt. Diverse Konflikte werden, wenn sie überhaupt wirklich aufkeimen, unaufgeregt gelöst - "Nomadland" wirkt, vielleicht auch, weil der Film auf einem berühmten Sachbuch basiert, ungemein ehrlich und realistisch, was aber auch eine Menge Geduld und Sitzfleisch erfordert.
Für viele Zuschauer dürfte Zhaos Version einer einen Abbildung dieser Welt, wobei sie sich keinen eigenen Kommentar oder irgendeine politische Richtung erlaubt, mit breiter Langeweile gleichzusetzen sein. Aber natürlich ist "Nomadland", trotz seiner wahnsinnigen Ruhe und seines enorm geringen Tempos (prinzipiell kommt der Film eigentlich gar nicht voran und steht still, was in ironischem Kontrast mit dessen eigentlichen Thema steht) nicht langweilig. Er ruht sich nur nicht auf den uns bekannten dramaturgischen Leitfäden aus, lässt die von Zhao brillant inszenierte Atmosphäre schlichtweg atmen... und wenn man sich darauf einlässt, dürfte man von dieser aufgesogen werden. Zhao besetzte den Großteil der Figuren mit Laien, was dem Realismus gerade in den ungestellt wirkenden Dialogen oder auch in den Szenen, in denen Fern auf einer Party mit einer Gruppe tanzt oder gemütlich am Lagerfeuer plauscht, ungemein zugute kommt. Zudem gelingen Zhao einige bravouröse, aber auch unglamouröse Aufnahmen der Einöde - einige fantastische, beinahe wie gemalt wirkenden Bilder kommen dabei herum.
Trotzdem hätte man sich ein wenig mehr Konfliktpotenzial gewünscht - gerade bei solch gewichtigen Themen ist es schade, dass man sich weitestgehend nur auf positive Begegnungen beschränkt. Alle Menschen in diesem Film scheinen unglaublich zuvorkommend, höflich und generell durchweg nett zu sein, was auf Dauer etwas ermüdet und zudem nicht zwingend realistisch wirkt. Negative Ausschläge wir Krankheiten, Arbeitsbedingungen, Geldnot oder auch Drogen kommen entweder gar nicht zur Sprache oder werden hinfortgewischt, was leider so wirkt, als wolle man es sich hier mit niemandem verscherzen. Eine absolute Glanzleistung liefert dafür Frances McDormand, die sich unter den so ungekünstelten Laien hervorragend eingliedert und mit einer natürlichen Performance, gänzlich uneitel, besticht. Dafür durfte sie dann auch ihren bereits dritten Oscar mit nach Hause nehmen und ihren Stand als eine der talentiertesten Frauen Hollywoods weiter untermauern. Dabei geht McDormand angenehm mutig vor, ohne zu überzeichnen und kann der Hauptrolle ihren ganz eigenen, sehr sympathischen und rauen Stempel aufdrücken.
Fazit: Eine beinahe punktgenaue Abbildung des Nomadenlebens - dabei so realistisch, dass um jedwede Form der führenden Dramaturgie oder des Konfliktpotenzials ein großer Bogen gemacht wird. Obwohl dies angesichts des Themas mehr als schade ist, wissen die Inszenierung von Chloe Zhao und Hauptdarstellerin Frances McDormand trotz zu wenig Mut des Buchs zu fesseln.
Note: 3
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