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Ein Film, den ich lieben wollte, aber nicht konnte: Filmkritik zu "Vergiss mein nicht!"

Joel Barish (Jim Carrey) ist eigentlich nicht der impulsive Typ. Es ist also durchaus ungewöhnlich für ihn, dass er sich morgens am Bahnsteig spontan dazu entscheidet, den Arbeitstag zu schwänzen und stattdessen an den Strand zu fahren. Auf der Rückfahrt lernt er dabei die junge Buchverkäuferin Clementine (Kate Winslet) kennen... und beide verlieben sich beinahe schlagartig ineinander. Die Gegensätze scheinen sich anzuziehen und Clementine ist schon nach kurzer Zeit davon überzeugt, dass sie diesen Typen heiraten wird. Zwei Jahre später ist die Beziehung jedoch zerbrochen - Clementine ignoriert Joel vollkommen, tut gar so, als würde sie ihn nicht kennen. Was Joel erst mit gebrochenem Herzen als fieses Abservieren abtut, hat jedoch einen gänzlich anderen Hintergrund: Clementine hat ihren Freund mittels einer technischen Prozedur aus ihrem Gedächtnis löschen lassen...

Ich hasse es, Kritiken wie diese zu schreiben. Da gibt es einen Film, den nicht nur so ziemlich jeder Mensch gesehen hat, sondern der die meisten auch noch vollkommen beeindruckt hat (über die grimmigen Kritiker zu den Indie-Fans bis hin zu den Mainstream-Guckern) und den ich lange vor mir hergeschoben habe, obwohl er mir so oft auch aus Freundeskreisen empfohlen wurde... und dann fand ich diesen Film tatsächlich nicht gut. Dabei hat "Vergiss mein nicht!" mich in den ersten zwanzig Minuten ordentlich abgeholt und auch im weiteren Verlauf immer wieder Ansätze, die mich angesprochen und berührt haben. Die Grundidee einer Prozedur der Erinnerungslöschung und der Flucht daraus, über das, was Erinnerungen mit uns machen, wenn wir sie bewahren oder verlieren, ist wahnsinnig faszinierend. Die Charaktere sind charmant und die brillanten schauspielerischen Leistungen von Kate Winslet und Jim Carrey lassen sich kaum hoch genug bewerten, denn diese sind wahrlich fabelhaft. Und doch hat mich der Film ausgerechnet ab dem Punkt, wo dessen Handlung wirklich losgeht, fast vollständig verloren.
Das liegt besonders daran, dass der lange Mittelteil des Films enorm zerfasert erzählt wird. Wir folgen parallel zwei Handlungssträngen, wobei einer im Kopf eines Protagonisten stattfindet und der andere außerhalb. Zweiterer wirkt dabei wie eine Hinzufügung von mehreren Sideplots, die das Tempo nicht nur ausbremsen, sondern zudem noch Figuren bemüht tief erzählen, was aber eigentlich nur vom Mittelpunkt ablenkt. Immer wieder springt der Film zwischen diesen Ebenen hin und her, was keinen richtigen Fluss zulässt - oftmals wirken einzelne Szenen schlichtweg aneinandergereiht. Erschwert wird der Zugang dadurch, dass der Handlungsstrang im Kopf nicht chronologisch verläuft, sondern viel mehr eine Reise in durcheinandergewirbelte Erinnerungen darstellt. Die Leichtfüßigkeit des ersten Aktes geht in einer extremen Schwermütigkeit unter, die sich jedoch auch nie so richtig entfalten kann, da der Film zu schnell zwischen den einzelnen Szenen und Momenten springt. Der Handlungsstrang um die Techniker, die am Hirn des Protagonisten arbeiten, ist im direkten Vergleich mit schrägem Humor versetzt, der so gar nicht zum deutlich gefühlvolleren und traurigeren Rest der Handlung passen will und dementsprechend deplatziert wirkt.
Das ist tatsächlich mehr als schade, da "Vergiss mein nicht!" im weiteren Verlauf immer wieder Szenen durchläuft, die wahnsinnig berührend wirken. Zu diesem Zeitpunkt glaube ich jedoch, dass ich bereits zu mauern begonnen hatte - die Figuren hatten mich verloren, die Dramaturgie zog bei mir nicht. Der Film will viel, zu viel letztendlich und liefert dennoch nicht genug. Gerade hinsichtlich der technischen Prozedur entstanden enorm große Plotholes, über die ich immer wieder nachdachte und die mir daher ein tieferes Eintauchen in die dramatischen Ebenen verwehrten. Das Ende ist schließlich ziemlich gut gelungen und verweigert sich, wie auch bereits der ganze Film zuvor, dem typischen Hollywood-Zuckerguss. Alles andere hätte bei solch einem komplexen Werk aber auch verwundert. Letztendlich steckt im Kern von "Vergiss mein nicht!" ein sehr weiser, intelligenter und bewegender Film, doch wird dieser Kern von viel zu vielen Nebenhandlungen und allerlei inszenatorischen Ideen, die zu selten zünden, überschattet. Ich verstehe vollkommen, warum dieser Film so geliebt wird und ich ärgere mich, dass ich ihn nicht auch lieben konnte... aber mich hat an ihm deutlich weniger berührt als ich das zuvor für möglich gehalten hätte.

Fazit: Toll gespielt, mit einer wunderbaren Ausgangslage und dem Herz am rechten Fleck. Trotzdem ist die Erzählung viel zu zerfasert, zu voll mit Eindrücken und immer neuen Ideen, um wirklich bannen zu können und verspielt sich damit einen emotionalen Kern, der eigentlich eine sehr, sehr bewegende Geschichte erzählen könnte.

Note: 4



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