Da es in ihren Ehen und in ihren Jobs als Lehrern alles andere als gut läuft, wagen die vier Freunde Martin (Mads Mikkelsen), Tommy (Thomas Bo Larsen), Nikolaj (Magnus Millang) und Peter (Lars Ranthe) ein spezielles Experiment. Rein nach der These des norwegischen Psychiaters Finn Skarderud, der behauptete, dass der Mensch generell ein Defizit von 0,5 Promille besitzt, wollen die vier Männer jeden Tag unter der Woche bis zwanzig Uhr trinken und exakt diesen Promillewert halten. Davon versprechen sie sich nicht nur, lockerer zu sein, sondern auch auf sozialer und fachlicher Ebene besser zu funktionieren. Und zu Beginn scheint das Experiment aufzugehen: Die Beziehungen zu ihren Frauen nehmen neuen Schwung auf, die Unterrichtseinheiten der zuvor gelangweilten Lehrkräfte sprühen plötzlich vor Elan. Doch als Martin vorschlägt, noch ein wenig weiterzugehen, geraten sie gemeinsam in eine gefährliche Abwärtsspirale des Alkoholkonsums...
Im Jahr 2020 versammelte sich das Team, welches "Die Jagd" zu solch einem elektrisierenden Thriller gemacht hatte, erneut. Und die Erwartungen waren nach ihrem vorherigen Werk hoch, denn bis heute zähle ich Thomas Vinterbergs Erzählung über einen Erzieher, der fälschlicherweise der sexuellen Belästigung an einem Kind verdächtigt wird, zu einem der intensivsten und besten europäischen Filme der letzten Jahre. Vinterberg holte für "Der Rausch" dann nicht nur Mads Mikkelsen als Hauptdarsteller erneut an Bord, sondern konnte auch Thomas Bo Larsen und Lars Ranthe für sein Projekt gewinnen, welche "Die Jagd" in Nebenrollen enorm bereicherten. Und die hohen Erwartungen kann "Der Rausch" nun auch problemlos erfüllen. Obwohl er nämlich hinter Vinterbergs wahrem Meisterwerk zurückbleibt, überzeugt das Drama durch seine unaufgeregte Sozialkritik, seinen zügellosen Spaß und auch durch die düsteren Seiten, die das Thema zwangsläufig vorgibt.
Bezüglich letzterem kann man "Der Rausch" vielleicht vorhalten, dass er sich während seines letzten Drittels zu sehr auf altbekannten Pfaden bewegt. Wo gerade die zügellose und oftmals regelrecht ansteckende Freude über das plötzliche Aufblühen der vier von ihrer Midlife-Crisis geplagten Männer noch wunderbar anarchisch und frisch anmutete, sind die Bilder der Alkoholabhängigkeit später zwar intensiv, aber Vinterberg findet keine wirklich neuen Pfade, um diese Geschichten zu erzählen. Das ist aber halb so schlimm, da die Message hinter der Story ohnehin schon früher klar wird und er uns somit immerhin noch ein paar kleinen Tiefschlägen entlässt, die vor allem aufgrund des vorherigen, perfekten Aufbaus so gut funktionieren. Tatsächlich gelingt es Vinterberg, sein Experiment so erfüllend zu erzählen, dass sogar ich mich bei dem Gedanken ertappte, dass diese Promillen-Herangehensweise keine üble Idee sei. Das böse Erwachen folgt jedoch erwartungsgemäß auf dem Fuße und lässt "Der Rausch" zu einem gut durchgetakteten Mix aus Sozialsatire und Drama werden, welches den moralischen Zeigefinger nicht zu weit erhebt und stattdessen lieber ein finsteres und auch trauriges Portrait über vier Männer schreibt, die zu spät erkennen, in was sie sich verlieren.
Dass Mads Mikkelsen in der Hauptrolle brilliert, ist keine Überraschung. Der Mann kann offensichtlich nichts anders als stets absolut fantastisch zu spielen, was er seit einigen Jahren ja auch in diversen US-Blockbustern wie "Doctor Strange" oder "Rogue One" beweist. Anders als vielen anderen Top-Stars gelingt es Mikkelsen, die Schwere und Tragik seiner Figur ungemein leichtfüßig zu transportieren. Die enorme Last auf Martins Rücken spielt Mikkelsen beinahe mühelos, weswegen die Grenze zwischen dem Alkohol als Lebenssaft und als Kaputtmacher noch weiter zu verschwimmen droht. Auch die restlichen Figuren werden von hervorragenden Schauspielern und Schauspielerinnen verkörpert, wobei sich die genaue Zeichnung der Charaktere bis in die kleinsten Nebenrollen zieht. So werden auch die Schulklassen der Lehrer schön durchzeichnet, während einzig und allein die Parts der Ehefrauen oder Partnerinnen durchaus etwas genauer oder doppelbödiger hätten dargelegt werden können. Denn die Familienprobleme, die vor und schließlich auch während dem gewagten Experiment passieren oder existieren, sind noch am nächsten dran an standardisierten Erzählmustern, welche der Film ansonsten sehr gut umgeht.
Fazit: Starkes Drama, welches die Zuschauer*innen quasi ebenfalls zu Teilnehmern eines Experiments macht, welches Schattenseiten offenbart, aber auch seine positiven Vorzüge hat. Mads Mikkelsen glänzt wie gehabt mit einer erhabenen Performance.
Note: 2-
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