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Kein Skandal, aber eine Tortur: Filmkritik zum Netflix-Hit "Blond" (2022)

Norma Jean Baker (Ana de Armas) wuchs unter schwierigen Verhältnissen auf. Von ihrer psychisch kranken Mutter Gladys (Julianne Nicholson) entfremdet arbeitete sie schließlich als aufreizendes Fotomodell, bis ihr in den 50er Jahren unter dem Namen "Marilyn Monroe" der Durchbruch in Hollywood gelang. Sie wurde eine Ikone des Films, ein Idol, eine lebende Legende. Doch das Leben des größten Stars auf diesem Planeten forderte furchtbare Preise: Norma sah sich nie als echte Schauspielerin, sondern alsbald nur noch als ein Stück Fleisch, welches in der Filmindustrie herumgereicht wurde. Der Umgang mit ihrer Person sollte sie in eine schreckliche Schneise führen und sie letztendlich vollkommen zerstören...

Räumen wir ein Gerücht sogleich aus dem Weg: Nein, Netflix hat mit diesem lang besprochenen Film keinen absoluten Skandal abgeliefert, der Menschen auf dem ganzen Planeten vollkommen schockieren wird. Die sehr hohe Altersfreigabe, welche in den USA fast nur pornographischen Werken vorbehalten ist, resultiert aus vielen Nacktszenen und manch einer etwas drastischer gefilmten Sexszene, auch wenn es sich hierbei sicherlich nicht um Pornographie handelt. Skandalös ist dabei weniger die inszenatorische, wenn auch ab und an sicherlich gewagte Umsetzung... sondern die Tatsache, dass es sich hierbei um Menschen handelt, die einen gewissen, glorifizierenden Legendenstatus in der Historie besitzen und die man so sicherlich nie gesehen hat und vielleicht auch nicht sehen wollte. Der Film von Andrew Dominik ist ein spürbares Aufrütteln, der nicht nur als simple Provokation funktioniert, sondern an dem tragischen Beispiel Monroe die Gifthölle Hollywoods aufzeigt. Dabei ist es eigentlich gar kein Film über Marilyn Monroe, die so nur vor laufenden Kameras und auf Leinwänden existierte - es ist ein Film über Norma Jean Baker.
Vielleicht wurde noch nie so ungeschönt, so grausam aufgezeigt, was Hollywood in den 50er Jahren für ein Sündenpfuhl war... und was er heute leider immer noch ist, MeToo hin oder her. Dominik inszeniert diese Biografie nicht nur mit vielen verschiedenen Stilmitteln, die mal mehr, mal weniger treffsicher sind, sondern vor allem als nicht endenwollenden Rausch hinein in den Abgrund. Selbst wenn sich Baker gegen Ende immer mehr von der grausamen Realität entfremdet, bleibt Dominiks Regie so nachvollziehbar, dass wir endlich verstehen können, was Baker in den Abgrund gerissen hat. Und bei allem, was sie zuvor hat durchmachen müssen, verwundert dies wirklich nicht mehr. Dominik stellt die verschiedenen, grausigen Eckpfeiler in Bakers Karriere nicht vulgär zur Schau, aber er rüttelt erheblich an den glamourösen Oberflächen und nutzt immer wieder auch bekannte Auftritte und Filme des Hollywood-Stars, um ihre Finsternis aufzubrechen und freizulegen. Das ist stellenweise sehr, sehr harter Tobak, welcher durch die zutiefst menschliche und letztendliche gebrochene Person Baker aber einen sinnigen und starken Mittelpunkt findet.
"Knives Out"-Star Ana de Armas liefert dabei eine absolut faszinierende Vorstellung ab. Offensichtlich interessierten sich die Macher weniger für eine perfekte optische Ähnlichkeit mit Monroe, obwohl De Armas Gesicht förmlich hinter der Figur verschwindet. Stattdessen macht die Schauspielerin eine ganz eigene Sache daraus und bleibt dennoch Bakers Manisrismen treu, nutzt sie und dreht sie wieder um. Eine wahrlich erhabene, ungeschönte und mutige Vorstellung, bei der es im nächsten Jahr mindestens eine Oscar-Nominierung geben müsste. Trotz dieser gewaltigen Performance und der brodelnden Energie, die sich durch den gesamten Film zieht, ist die lange Laufzeit dem Werk trotzdem ein Klotz am Bein. Dafür, dass uns das Werk im Grunde nichts erzählt, was wir nicht schon wissen oder erahnen (obwohl er sich nicht an Fakten ergötzt und immer wieder klare Fiktion oder auch nur Gerüchte als echte Begebenheiten darstellt), sondern es nur brachialer und wütender inszeniert, braucht der Film doch relativ lange, um richtig in Schwung zu kommen. Immer wieder hagelt es Tritte in die Magengrube, aber die leidigen Biografie-Schwierigkeiten mit plötzlichen Zeitsprüngen und rasch aus dem Film verschwindenden Figuren bekommt auch "Blonde" nicht immer in den Griff. Auch ist sicherlich diskutabel, ob wirklich jede Abzweigung nötig gewesen wäre, obwohl sich der Film auch so schon ziemlich flott anfühlt und die zweieinhalb Stunden einigermaßen schnell vergehen.

Fazit: Die Abwärtsspirale Hollywoods ist in dieser knallharten Inszenierung oftmals schwer zu ertragen - vielleicht wurde noch nie so klar bebildert, wie es sich für eine Frau anfühlt, zwischen den Großmogulen als Spielball zu agieren. Trotz einer grandiosen Regie und einer Performance von Ana de Armas, die nicht weniger als meisterhaft ist, aber kein ganz großer Wurf, da letztendlich zu lang und bisweilen auch zu überambitioniert.

Note: 3+



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