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Wieder zu Atem kommen: Filmkritik zu "Causeway"

Die US-Soldatin Lindsay (Jennifer Lawrence) kehrt nach einem Einsatz in Afghanistan in ihre Heimat in New Orleans zurück. Aufgrund einer schweren Verletzung hat sie einen schweren Nervenschaden davongetragen, der sogar die einfachsten Bewegungen enorm erschwert und sie bis auf weiteres auf die Hilfe der Pflegerin Sharon (Jayne Houdyshell) anweist. Als ihr Auto eine Panne hat, lernt sie rein zufällig den Mechaniker James Aucoin (Brian Tyree Henry) kennen - beide fühlen sich sogleich freundschaftlich zueinander hingezogen, da sie die gegenseitigen Traumata des anderen spüren. Die Freundschaft zu James gibt Lindsay Halt, doch scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sein unaufgearbeitetes Trauma, über welches er sich erst zu sprechen weigert, diese Situation verkompliziert...

Der Krieg hängt wie ein Damoklesschwert über diesem Film und dennoch hat es Regisseurin Lila Neugebauer nicht nötig, auch nur eine Szene daraus zu zeigen. Das ist auch definitiv nicht notwendig, denn allein durch Jennifer Lawrences Monolog, in welchem sie detailliert erklärt, wie es zu ihren schwerwiegenden physischen und psychischen Verletzungen kam, ist so eindringlich, dass die schrecklichen Bilder direkt im Kopf des Zuschauers entstehen. Statt auf einen dramatischen Kriegs-Tränendrücker konzentriert sich Neugebauer im weiteren Verlauf lieber auf die Beziehung zwischen zwei Menschen, die sich gegenseitig bei ihren Traumata helfen oder sie auch verschlimmern könnten. In unaufgeregten, aber wunderschön durchkomponierten Bildern macht sich Neugebauer den Alltag der beiden Hauptfiguren zu eigen, um darin ihre wahren, emotionalen Knackpunkte zu erzählen. In den seltensten Fällen braucht es dafür richtige Dialoge, da Lawrence und Henry schon allein durch Blicke so viel erzählen, dass man meint, alles über ihre Leben zu erfahren.
Für Brian Tyree Henry, der zuletzt mit "Eternals" und "Bullet Train" vermehrt im Blockbuster-Kino auftrat, gab es dafür gestern sogar eine Oscarnominierung und diese ist in höchstem Maße verdient. Wenn er mit erdrückter Stimme und geneigtem Blick erzählt, was ihm zugestoßen ist, fühlt sich das nicht mehr nach Schauspiel an, sondern wie eine echte Beichte. Er und Lawrence verwachsen dabei auf solch elegante Art und Weise mit ihren Figuren, dass man ihre bekannten Gesichter vergisst - ihr unaufgeregtes, intimes und ehrliches Spiel, wobei beide zueinander eine unglaublich nahe Bindung aufzubauen scheinen, wirkt wie direkt aus dem Leben geschnitten. Niemand scheint hier einen Text aufzusagen - auch dank Lila Neugebauers Regie. In anderen Händen hätte dieses Drehbuch deutlich schematischer inszeniert werden können, deutlich schwülstiger womöglich und auch überspitzter. Hier genügt es als emotionaler Höhepunkt, wenn sich zwei Menschen einfach mal in den Arm nehmen und tief durchatmen können... weil sie zuvor seit Jahren nicht geatmet haben.
Trotz oder auch gerade wegen seiner Langsamkeit, die die stets präsenten Traumata der Figuren in ganz leisen Momenten greifbar machen, ist "Causeway" so aufwühlend und bewegend. Nicht, weil der Film es per se darauf anlegen würde, sondern weil er dabei so ehrlich, so unverklemmt und so nahbar wirkt. Manch eine kleine Länge bleibt dabei zwar nicht aus und gerade die etwas klischeehafte Mutter-Tochter-Beziehung schlägt manch ein Loch in die Dramaturgie. Das macht aber wenig aus, da der Film selbst in diesen Szenen dank seiner sicheren Inszenierung nicht aus dem Takt gerät. Es gibt wenige, dafür aber sehr klare Fokuspunkte, ganz klare Need's, sehr klare Charakterisierungen. Keine großen Wendungen, dafür sehr viele Wahrheiten, die mal ausgesprochen werden und mal auch einfach unausgesprochen bleiben, dafür aber unter der Oberfläche spürbar sind. Und wem das nicht genügt oder wem das vielleicht einfach zu leise ist, dem sei der Film alleine wegen den bravourösen Leistungen von Brian Tyree Henry und auch Jennifer Lawrence empfohlen. Letztere ist zwar immer mindestens grandios, setzt hier aber mit einer intensiven Performance, die niemals nach irgendeiner Art Aufmerksamkeit hechelt, einen starken Punkt drauf.

Fazit: Hervorragend gespielter und mit wohltuender Nuancität inszenierter Film, der mit wenigen, dafür aber treffsicheren Worten und unaufgeregten, natürlichen Gesten berührt. Sehr bewegend, wenn auch nicht in jeder Handlung wirklich überzeugend.

Note: 2-



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