Direkt zum Hauptbereich

Erdrückend und intensiv: Filmkritik zu "Kaltes Land"

Um vor ihrem sie missbrauchenden Ehemann zu flüchten, zieht Josey Aimes (Charlize Theron) gemeinsam mit ihren Kindern Sammy (Thomas Curtis) und Karen (Elle Peterson) nach Minnesota zurück, wo sie zeitweise wieder bei ihren Eltern Hank (Richard Jenkins) und Alice (Sissy Spacek) unterkommt. Um sich eine eigene Wohnung leisten und für ihre Kinder sorgen zu können, nimmt Josey einen Job in der örtlichen Mine an, wo nur wenige Frauen arbeiten. Schon vor ihrem Arbeitsantritt sieht sich Josey mit eindeutigen, psychischen Übergriffen seitens der männlichen Belegschaft konfrontiert und erfährt, dass sie dabei nicht das erste weibliche Opfer an diesem Arbeitsplatz ist. Aus Angst um ihren Job schweigen die Frauen, doch Josey will dies nicht auf sich sitzen lassen und zieht gegen die miesen Männer in den Kampf... und schließlich sogar vor ein Gericht.

Nach einer wahren Geschichte erzählt dieser Film von dem ersten großen Justizfall, bei dem sich der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz angenommen wurde. Ein schwieriges Thema für einen Film, der dabei weder zu trocken noch zu effekthascherisch agieren sollte, um das Publikum emotional zu treffen, aber auch nicht zu umständlich zu agieren. Und man kann "Die Frau des Zoodirektors"-Regisseurin Niki Caro nur gratulieren, denn ihre bockstarke Inszenierung, die nicht in schwülstigen und überzeichneten Szenarien ertrinken muss, hält diesen Film durchweg am Laufen. Die bedrohlichen Aufnahmen einer chaotischen Minen-Gesellschaft, in welcher die üblichen Risiken am Arbeitsplatz nicht die einzige und nicht einmal die größte Gefahr darstellen; die beinahe einsam wirkenden, trostlosen Landschaftsaufnahmen von Schneewehungen und weißen Hügeln; und der unaufdringliche Soundtrack, der auch wichtige Knackpunkte nur leise untermalt und somit viel besser zu treffen weiß. Trotz des eher langsamen Erzähltempos wird "Kaltes Land" niemals langweilig, denn dafür ist er viel zu atmosphärisch inszeniert, auch wenn er nicht alle dramaturgischen Fallstricke überspringen kann.
So tappt er nämlich in die Falle, gegen Ende und nach einigen schwerwiegenden Enthüllungen doch etwas zu arg in eine gewisse, rührselige Richtung zu kippen. Und auch die nähere Charakterisierung der Hauptfigur wirkt gemeinhin ein wenig verkopft - immerhin droht aber niemals die Gefahr, dass man irgendwie den Anschluss zu Josey verlieren könnte, da die direkten Gegenpole sich kaum mehr als Menschen, sondern mehr als wilde, zügellose und vollkommen kranke Tiere zu identifizieren sind. Die Straftäter bekommen dabei zwar Gesichter, aber keinerlei zweite Ebene, was sie (was wahrscheinlich auch gewollt war) kaum greifbar macht. Sie wirken dadurch aber auch ein wenig überspitzt und wie eine Meute von Wahnsinnigen, die eine grauenvolle Tat nach der anderen verüben. Man muss sich wirklich fragen, wie dieses Chaos über Jahre hinweg von den (natürlich ebenfalls männlichen) Vorgesetzten durchgewunken werden konnte... aber auch da sind wir wieder bei der schockierenden, realen Geschichte. Dass solche Vorfälle nicht nur damals, sondern vielerorts auch heute noch an der Tagesordnung sind, ist belastend und es ist wunderbar zu sehen, dass schon im Jahr 2005 ein Film so ungeschönt und aggressiv auf dieses Thema aufmerksam machte.
Die letzten Verbeugungen sollte man dann vor dem brillanten Cast machen, denn Niki Caro hat ein paar richtige Könner und Könnerinnen vor der Kamera versammelt. An vorderster Front steht dabei natürlich Charlize Theron, die mit einer bemerkenswerten Leistung, die bisweilen richtig unter die Haut geht, absolut beeindruckt. Für sie und auch für ihre Kollegin Frances McDormand, die hier auf gänzlich anderen, aber nicht weniger grandiosen Gebieten glänzt, gabs eine wohlverdiente Oscarnominierung. Doch "Kaltes Land" ist bis in die kleineren Nebenrollen hervorragend besetzt - da wäre zum Beispiel "Der Marsianer"-Star Sean Bean als überforderter Ehemann, der noch ein wenig Herz und echte Loyalität einbringt; oder auch der große Richard Jenkins, der einen ganz eigenen Konflikt offenmacht, welcher die Situation Joseys noch einmal erschwert und ihr zusätzlichen, kaum zu unterschätzenden Ballast auflädt. Und auch Woody Harrelson ist als hemdsärmeliger, durchaus charmanter Anwalt einmal mehr schlichtweg genial, auch wenn bei seiner Figur deutliche Schwächen zu sehen sind - so kommt sein Bill White doch etwas zu überdeutlich als rettender Ritter daher und bringt dabei seinen eigenen Plot mit, der "Kaltes Land" bisweilen zu sehr aufbläht.

Fazit: Intensives Drama nach einer wichtigen, wahren Begebenheit, welches vor allem durch die Inszenierung der Regisseurin und der fabelhaften Leistung von Hauptdarstellerin Charlize Theron lebt. Dramaturgische Fallstricke gibt es und ein paar Subplots weniger hätten dem Film in entscheidenden Momenten vielleicht mehr Schwung verliehen, aber dennoch bleibt ein eindrücklicher, bewegender und nicht immer leicht zu ertragender Film mit Wucht, starken Dialogen und Nachdruck.

Note: 2-



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Eiskalte Engel

Die 90er Jahre waren das absolute Revival für die Teenager-Komödie, wobei so manch ein auch etwas verruchterer Klassiker entstand. Dabei gereichte es zur damaligen Zeit bereits für "American Pie", in welchem es sich zwar weitestgehend nur um Sex dreht, der aber dennoch recht harmlos daherkam, zu einem kleinen Skandal. Die logische Fortführung dessen war schließlich "Eiskalte Engel", wo der Sex nicht nur der Hauptfokus ist, sondern im Grunde den einzigen sinnigen Lebensinhalt der Hauptfiguren darstellt. Das ist dann zwar ziemlich heiß und gerade für einen Film der letzten Dekade, der sich an Teenies richtet, erstaunlich freizügig... aber auch sehr vorhersehbar und irgendwie auch ziemlich doof. EISKALTE ENGEL Für den attraktiven Jungspund Sebastian Valmont (Ryan Philippe) ist die Verführung von naiven, jungen Damen der Mittelpunkt des Lebens. Um dem ganzen einen zusätzlichen Reiz zu verschaffen, sucht er stets neue Herausforderungen und geht schließlich mit se

Eddie the Eagle - Alles ist möglich

"Das wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Das wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf." Dieses Zitat, welches den Film "Eddie the Eagle" abschließt, stammt von Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele. Und es bringt den Kern der Geschichte, die in diesem Film erzählt wird, sehr gut auf den Punkt, denn um den Sieg geht es hier eigentlich nicht oder zumindest nicht sehr lange. Aber es wird gekämpft und das obwohl niemand dieses seltsame Gespann aus Trainer und Sportler wirklich ernstnehmen wollte - genau das ist das Herz dieses Biopics, welches viele Schwächen, aber zum Glück auch viel Herz hat... EDDIE THE EAGLE Für Michael Edwards (Taron Egerton) gibt es trotz einer bleibenden Knieverletzung nur einen Traum: Er will in einer Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Schon in seiner Kindheit scheitert er beim Hammerwerfen und Luftanhalten und landet schließlich, sehr

Holzhammer pur: Filmkritik zu "Cherry - Das Ende aller Unschuld"

Mit achtzehn Jahren ist sich der Student Cherry (Tom Holland) sicher, in seiner Kommilitonin Emily (Ciara Bravo) die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Als diese ihn jedoch eiskalt verlässt, beschließt Cherry in seiner Trauer, sich für die Army zu verpflichten... noch nicht wissend, dass Emily ihre Meinung ändern und zu ihm zurückkehren wird. Doch der Schritt ist bereits getan und Cherry wird für zwei Jahre in den Irak versetzt, um dort für sein Land zu kämpfen. Die Erfahrungen, die er dort macht und die Dinge, die er dort sehen wird, lassen ihn völlig kaputt zurück... und machen schließlich auch die Rückkehr in seine Heimat und sein folgendes Leben zu einem irren Rausch verkommen, der nicht nur ihn selbst, sondern auch die Menschen um ihn herum zu zerstören droht. Die Brüder Anthony Joe und Russo, die mit dem genialen "Avengers"-Doppel "Infinity War" und "Endgame" zwei der erfolgreichsten und besten Filme unserer Zeit erschufen, holen Tom "Spid