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"Herr der Fliegen" in richtig schlecht: Filmkritik zu "Voyagers"

Vor zehn Jahren wurde eine Gruppe Kinder unter Aufsicht des Wissenschaftlers Richard (Colin Farrell) auf eine achtzigjährige Reise ins All geschickt. Aufgrund des baldigen Hitzetods der Erde sollen ihre Enkel in weiter Ferne einen neuen Planeten besiedeln, um ihre Rasse zu retten - die ersten Passagiere selbst werden die neue Heimat hingegen niemals zu Gesicht bekommen. Zu diesem Zweck wurden sie rigoros herangezüchtet, um die Reise glücken zu lassen und keinerlei psychologische Ausfälle an Bord zu riskieren. Als die beiden Freunde Christopher (Tye Sheridan) und Zac (Fionn Whitehead) jedoch hinter die Geheimnisse von Richard kommen und erfahren, dass ihre wahren Gefühle und Gelüste aufgrund zugeführter Vitamine kontrolliert werden sollen, brechen sie aus dem vorgeplanten Kreis aus... und die nachfolgende Entwicklung unter den Jugendlichen gerät außer Kontrolle.

Es gibt zwei Sachen, die mir an "Voyagers" ansatzweise gefielen. Zum einen liefert der Film einen durchaus vielversprechenden Aufbau mit einigen originellen Ideen, die tatsächlich wie eine interessante Variation von "Der Herr der Fliegen" anmuten... in einem Sci-Fi-Setting. Außerdem schlug sich "Ready Player One"-Star Tye Sheridan in der Hauptrolle soweit solide. Das wars dann aber auch schon, denn selbst die kleinsten Funken von einigermaßen originellen Ideen werden von einem Drehbuch, welches mit dem Wort "Katastrophe" noch nett beschrieben wäre, zunichte gemacht. Über Dutzende Logiklöcher und Glaubwürdigkeitsprobleme darf man sich bereits an der Oberfläche aufregen, wenn es nur um die Ausgangssituation geht. So zum Beispiel, dass die Jugendlichen an Bord sich möglichst wohlfühlen und Harmonie erleben sollen... dann aber in dem wohl beengtesten und ungemütlichsten Raumschiff der Menschheitsgeschichte leben müssen, bei welchem man bereits beim Zusehen Platzangst bekommt. Oder dass nur der Verzicht eines Getränks bereits ausreicht, um die jahrelange, minutiöse Planung zur Rettung der Menschheit vollkommen auseinanderfallen zu lassen. Auch weil niemand genau aufpasst, ob die Kids diese wahnsinnig wichtigen Medikamente denn wirklich zu sich nehmen.
In einem auf völlige Unterhaltung zugeschnittenen Blockbuster wie "Armageddon" kann man solcherlei Patzer geflissentlich ignorieren und trotzdem seinen Spaß haben. "Voyagers" versteht sich jedoch nicht als locker-leichtes und spektakuläres Popcorn-Kino, sondern als ein finsteres Psychogramm. Und da wiegen dann die Fehler innerhalb dieser charakterzentrierten Episode noch mal schlimmer als die ganzen Patzer rundherum. Denn was dieses Kammerspiel mit den verschiedenen Charakteren treibt, lässt sich ab einem gewissen Punkt nur noch als unfreiwillig komisch beschreiben. Da werden diese Kids, die seit zehn Jahren minutiös geschult und ausgebildet werden, mit nur wenigen Worten unter Kontrolle gebracht und verhalten sich im weiteren Verlauf wie willenlose Zombies. Nachdem sie die sie kontrollierenden Medikamente abgesetzt haben, versteht sich. Dieses Auslassen einer blauen Flüssigkeit führt dann aber nicht zu etwas mehr emotionaler Intelligenz, sondern schlichtweg dazu, dass der Großteil der Personen an Bord durchdreht, alle wie verrückt vögeln (zur Sicherung der Jugendfreigabe aber ohne die Hosen auszuziehen - ja, das ist so schräg, wie es hier klingt) und zwei von ihnen ganz besonders psychopathisch daherkommen. Weil... soll halt so sein. 
Und das Hirn auszuschalten funktioniert bei einem Film wie diesem, der so viel mehr über den Menschen und das, was ihn dazu bringt durchzudrehen, erzählen möchte, einfach nicht - sonst könnte man das Werk noch als schwachen Versuch für richtig dummes Sci-Fi-Kino irgendwie akzeptieren. Hier wird das Publikum aber durchweg und bis zu einem völlig lächerlichen, visuell inakzeptabel schlechten und absurden Finale für dumm verkauft. Jede kleine Wendung und jeder Wink des Drehbuchs, um irgendwie weiterhin Unordnung in die Truppe zu bringen, ist an Blödsinn kaum zu überbieten. Und es ist absolut nicht denkbar, dass dies dem Autor (der hier übrigens auch auf dem Regiestuhl saß) nicht selbst auffiel, denn ein derartiges zurechtgestutztes und innerlich völlig unglaubwürdiges Geschreibsel kann niemand wirklich ernstnehmen. Dazu passt dann auch, dass fast alle der jungen Darsteller*innen wie absolute Laien auftreten und selbst mit kleinsten Emotionen überfordert sind, darüber hinaus meist nur statisch agieren, als würden sie gerade ihre erste Stunde in der Schul-Theater-AG absolvieren. Dieser völlig banale Cast an Nebenfiguren fällt dann neben echten Könnern in den zentralen Rollen, wie der bereits erwähnte Tye Sheridan oder "Silent Night"-Star Lily-Rose Depp (die zwar auch völlig blass bleibt, aber zumindest eine gewisse Ausstrahlung mitbringt), nochmal richtig ab. Das wirkt dann insgesamt alles so ungekonnt, so billig und dreist, dass ich mich am Ende nur noch lachend über jede noch so blödsinnige Wendung aufgeregt habe. Immerhin: In einer größeren Gruppe könnte eine solche Sichtung tatsächlich Spaß machen.

Fazit: Das Drehbuch ist die größte Katastrophe in diesem Film und hält das Publikum mit abstrusesten und dämlichsten Plot-Twists und Charakterentscheidungen für völlig dumm. Daneben gibt es aber dann auch noch, um wirklich alle zu enttäuschen, einen laienhaft auftretenden Cast, eine völlig hanebüchene Ausgangslage mit allerlei Plotholes und visuelle Langeweile. 

Note: 5



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