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Unangenehm und packend: Filmkritik zu "Reality (2023)"

Am 03. Juni 2017 kehrt Reality Winner (Sydney Sweeney) gerade vom Einkaufen zurück und denkt an nichts Böses. Als sie aus dem Auto aussteigen will, wird sie von den FBI-Agenten Garrick (Josh Hamilton) und Taylor (Marchant Davis) in Empfang genommen, die sie mit einem Durchsuchungsbefehl für ihr Haus und ihr Auto überraschen. Reality reagiert mit einer Art unsicherer Höflichkeit und will den beiden durchaus freundlich, aber auch bestimmt auftretenden Beamten bei der Durchführung ihres Jobs nicht im Weg stehen. Durch ihre scheinbare Unaufgeregtheit macht sie sich jedoch, obwohl sie ihre Unschuld zum mysteriösen Vergehen beteuert, verdächtiger als ohnehin schon. Denn für was Garrick, Taylor und ihre Kollegen hier angerückt sind, soll ein schwieriges Verbrechen sein... und eines, welches Reality Winner teuer zu stehen kommen könnte.

Sicherlich können viele von uns es sich nur vorstellen, wie es sein muss, wenn plötzlich Polizeibeamte (oder hier: FBI-Beamte) vor der Tür stehen und Einlass ins Haus fordern. Plötzlich betreten mehrere fremde Personen den eigenen Schutzraum, stellen alles auf den Kopf, durchsuchen private Schriften, Schubladen und Räume. Ganz gleich ob man sich etwas zu Schulden hat kommen lassen oder nicht - ein Moment wie dieser muss der furchtbarste Horror sein und eine Rückkehr in die eigenen vier Wände ohne ein Gefühl der Unsicherheit, der Fremdheit und des Unwohlseins wohl kaum möglich. Und exakt dieses Gefühl bringt Theater-Regisseurin Tina Satter, die mit ihrem Filmdebüt eines ihrer eigenen Stücke für die große Leinwand verfilmt hat, unfassbar genau auf den Punkt. Immer wieder streut sie kleine Szenen in ein aufgrund seiner Ruhe wahnsinnig unangenehmes und an den Nerven zehrendes Verhör ein, in denen es in der Wohnung plötzlich knallt. In welcher Türen geöffnet und Bücher gelesen werden, die zu Realitys Privateigentum gehören. Aus den Augen der unruhigen, aber stets unfassbar höflich bleibenden, jungen Frau erleben wir diese Grenzüberschreitung beinahe in Echtzeit mit, fiebern und fühlen mit und fühlen uns fast selbst in die Ecke gedrängt.
Das ist auch deswegen so intensiv, weil der Film lange ein Geheimnis um seine Hauptfigur macht und erst recht spät enthüllt, was das Ganze hier nun eigentlich soll... sofern man die Geschichte rund um Reality Winner nicht schon in den Medien verfolgt hat, handelt es sich hier doch um eine Tatsachen-Verfilmung. Tatsächlich wurde "Reality" streng nach den Tonaufnahmen des FBI nachgefilmt, die am Ort der Untersuchung gemacht wurden - allein das macht das Geschehen so realistisch und beinahe ungezwungen, wenn die Hauptfigur in ihrer Nervosität erst einmal minutenlang über ihren Yoga-Kurs oder ihren geretteten Hund redet, um irgendwie klar zu kommen mit dieser Situation. Dabei gibt es keine großen Knall-Effekte, im Grunde auch keinen echten Bogen - "Reality" versinkt in seinem unangenehmen Stil und bleibt fast die ganze Zeit über ganz nah an der Hauptfigur und den beiden mit ihr sprechenden Ermittlern. In entblößenden Nahaufnahmen von Gesichtern, bei der jede Regung ein Verrat sein kann, bleiben wir wie gebannt... bis sich letztendlich die ganze Wahrheit genau dann ablesen lässt, wenn sie nicht mehr zu halten ist.
Das ist auf der einen Seite ungemein spannend, auf der anderen auch sehr bewegend. Denn obwohl wir fast nichts über die Figuren erfahren, erlaubt diese Grenzerfahrung, ganz tief in sie hinein zu sehen - in den Momenten, in denen sie am schwächsten oder (im Falle der höchst professionell und manipulativ auftretenden Beamten) am stärksten sind. Das ist dann natürlich mal wieder eine absolut begnadete Performance von Shooting-Star Sydney Sweeney, die mit kleinsten Gesten ganz große Gefühle erzeugt und auf dem Bildschirm schier brodelt. Ihr gegenüber stark agieren aber auch "Manchester by the Sea"-Star Josh Hamilton sowie Marchant Davis, die jegliche kleine Geste der Verdächtigen förmlich aufsaugen und mit einfachen, bisweilen richtig fiesen Mitteln versuchen, diese Durchsuchung an ihr Ziel zu führen. Am Ende sagt der Film natürlich auch auf politischer Ebene eine ganze Menge aus, denn auch wer mit dem realen Fall nicht vertraut ist, dürfte wissen, um was für ein Thema es im Jahr 2017 ging, wenn sich das FBI einschaltete... beziehungsweise welche Persönlichkeiten zu diesem Zeitpunkt gerade in der Politik ordentlich aufdrehten. Da setzt es dann noch mal einige herbe Schläge in die Magengrube, die heute leider wieder so aktuell sind wie man es sich kaum vorstellen mag. 

Fazit: Die Inszenierung dieses sehr leisen und sehr unangenehmen Thrillers geht unter die Haut - wegen seiner Ruhe, wegen der Höflichkeit seiner Protagonisten, wegen dem überschreitenden Rahmen. Daneben ist der Cast grandios und einige Schläge in die Magengrube wirken noch länger nach.

Note: 2-



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