Es gibt einfach gewisse Rollen, die bereits auf dem Papier förmlich nach einem Oscar schreien und dementsprechend versuchen sich gewisse Schauspieler immer wieder an einem solchen Akt. Gerade Leonardo DiCaprio nimmt ja in den letzten Jahren eine eventuelle Academy-Rolle nach der anderen an und auch was Julianne Moores Auftritt in "Still Alice" angeht, war wohl von vornherein klar, dass diese den Goldjungen mit nach Hause nehmen darf. Sowohl, weil die Rolle einfach unglaublich dankbar für eine fähige Hauptdarstellerin ist, aber auch, weil Moore hier die wohl beste Leistung in ihrer bereits starken Karriere abliefert.
STILL ALICE
Schock für die anerkannte Linguistin Alice Howland (Julianne Moore): Im Alter von gerade einmal fünfzig Jahren wird bei ihr früh einsetzendes Alzheimer diagnostiziert. Alice, die weiß, dass sie früher oder später alles, was ihr Leben ausgemacht hat, wofür sie gearbeitet hat, vergessen wird, versucht erst noch, mit kleinen Tricks und Übungen gegen das Unvermeidliche anzukämpfen und auch ihre Familie unterstützt sie dabei mit allerlei Elan, so gut sie alle können. Doch Alice kämpft einen Kampf, den sie nicht gewinnen kann und ihre Welt gerät aus den Fugen...
Ja, es ist schon wirklich ein dankbarer Part, den Julianne Moore hier bekleiden darf und die Academy wird schon früh hingeschaut und die Dame auf dem Plan für die Nominierungen gehabt haben, bevor überhaupt klar war, wie ihre Darstellung ausfallen durfte. Man darf aber nicht vergessen, dass zu einer solchem Auftritt auch immer eine fähige Schauspielerin gehört, denn auch eine noch so gut geschriebene Rolle wird uns in den falschen Händen kaum berühren. Und genau deswegen ist Moore so gut: Sie ist nicht nur fähig, sie ist brillant. Ohne sich mit falscher Dramatik zu sehr in die Herzen der Zuschauer vorzupreschen, gibt sie ihre tragische, aber kraftvolle Alice mit stets einem Schuss Humor, einem Schuss Gerechtigkeitssinn und immer mit dem Sinn, weiterzuleben, zu kämpfen... selbst wenn sie weiß, dass sie am Ende nur verlieren kann. Moore lotet diese Gefühlswelten perfekt aus, sie überzieht nicht (was eine Gefahr in einem solchen Auftritt hätte sein können), sie bleibt sensibel, greifbar. Eine ganz, ganz starke Vorstellung, die sie hier abliefert und welche sie den Oscar auf jeden Fall verdienen lässt. Die Nebendarsteller passen sich Moore an und spielen ihr zuverlässig die Bälle zu, sie stellen sich nicht in den Vordergrund, sondern werden Teil des Ensembles, was Alec Baldwin, Kristen Stewart und Kate Bosworth angenehm dezent, aber mit genügend Ausstrahlung und Präsenz agieren lässt. Über die starken Leistungen aller beteiligten Schauspieler hinaus ist "Still Alice" aber auch noch ein sehr gelungener Film. Die Regisseure Richard Glatzer und Wash Westmoreland verzichten im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen, die sich in ihr ach so wichtiges Thema verrennen, auf eine unnötige Überlänge, sie komprimieren die Geschichte, bleiben dabei treffsicher, lassen sich zwar genügend Zeit, behalten aber trotz aller Ruhe ihren Schwung, was Längen sofort ausmerzt. Ihre Geschichte ist einfühlsam erzählt und lebt sowohl von heiteren, tief-traurigen als auch von schockierenden Tönen, in welchen man sich als Zuschauer bereits unwohl fühlt. Auch wenn die Mittel für einen Film wie diesen, der sich um die schreckliche Krankheit Alzheimer dreht, vorhersehbar sind, stockt uns der Atem, wenn Alice für einen Moment ihre Tochter nicht mehr erkennt oder verzweifelt in der eigenen Wohnung die Toilette nicht mehr findet. Hier wird auch mit passenden Stilmitteln gearbeitet, wenn Alice nach und nach ihre Erinnerungen verliert und Kamera und Licht dabei mit unangenehmen Unschärfen und bösen Schnitten spielen. "Still Alice" trägt sich somit sehr gut über die Ziellinie, einzig das sehr plötzliche und etwas unrunde Ende hätte noch einmal der Überarbeitung gut getan, denn der Film endet im Grunde dort, wo die Dramatik noch einmal richtig zum Tragen kommt und irgendwie scheint dann etwas zu fehlen... wobei auch dies wieder zum Ton des Werkes passt.
Fazit: "Still Alice" ist harte Kost. Kein Wohlfühlfilm, sondern einer, bei welchem man sich unangenehm berührt fühlt. Bewegend, traurig und großartig gespielt. Sicher aber kein Film zum Immerwiedersehen, dafür ist er zu aufrührend.
Note: 2
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