Direkt zum Hauptbereich

Call Me By Your Name

Eine der Überraschungen bei der diesjährigen Oscar-Verleihung (die bei uns in der kommenden Nacht live auf ProSieben übertragen wird) war, dass "Lone Ranger"-Star Armie Hammer nicht für einen Darstellerpreis nominiert wurde. Er galt als praktisch als gesetzt, die Jury gab jedoch seinem Kollegen Timothee Chalamet den Vorzug. Dieser darf sich neben dem wahrscheinlich als Gewinner hervorgehenden Gary Oldman (nominiert für seine Hauptrolle in "Die dunkelste Stunde") wohl die größten Hoffnungen auf den Hauptdarstellerpreis machen und auch wenn er diesen wohl nicht gewinnen wird, bleibt seine Leistung in dem sensiblen, französischen Drama "Call Me By Your Name" in Erinnerung...

CALL ME BY YOUR NAME


Irgendwo im Norden Italiens wartet die Familie Perlman auf ihren neuesten Gast, den werdenden Arzt Oliver (Armie Hammer), der für ein Buch recherchiert und dafür die Hilfe des Familienvaters (Michael Stuhlbarg) in Anspruch nimmt. Schon bald entwickelt sich zwischen dem siebzehnjährigen Elio (Timothee Chalamet) und Oliver eine bedeutsame Beziehung, erst freundschaftlicher Natur und später mehr. Elio, der mitten in der Pubertät steckt und zwischen den Neigungen zu Oliver und den Gefühlen zu der gleichaltrigen Marzia (Esther Garrel) schwankt, weiß schon bald nicht mehr, was er fühlen soll - gerade in Oliver findet er jedoch Hilfe, als er nicht mehr weiter weiß.

"Call Me By Your Name" erzählt in seinen 133 Minuten die Geschichte eines Sommers - für einen Jungen in Elios Alter eine wichtige Zeit, in welcher er ohne Gedanken an Schule oder weitergehende Verpflichtungen für sich sein kann. Regisseur Luca Guadagnino gelingt es dabei auf beinahe unnachahmliche Weise, die Gefühle dieses langsam zum Mann heranreifenden jungen Menschen zu thematisieren und greifbar zu machen. Er hüllt seinen Indie-Stoff in sommerliche, wunderschöne Bilder, untermalt sie mit einem Mix aus klassischer Musik und modernem Pop, ohne dabei zu aufdringlich zu sein und lässt die Seelen der Menschen für sich sprechen. 
In treffsicheren, niemals kitschigen Dialogen legt er die innere Gefühlswelt der Charaktere dar und zeigt, was es für einen Jungen heißt, seine eigene Sexualität und sein Dasein für sich zu entdecken. Am stärksten zeigt sich dies in den Szenen, in welchen Elio mit der gleichaltrigen Marzia anbandelt - beinahe vernarrt auf die Körperlichkeit kann er sich dennoch nie ganz öffnen, schwebt doch ein ganz anderes Gefühl für einen anderen Menschen im Raum. Guadagnino provoziert nicht, sondern hebt die einfachen Gefühle heraus, er lässt keine großen Konflikte schüren, sondern die Leidenschaft leben. Es wirkt befreiend zu sehen, wie Elio endlich genau das bekommt, was er sich so lange erhofft hat, auch wenn er nicht immer sicher dabei ist, ob er denn genau das will. In diesen Momenten bebt "Call Me By Your Name" vor erschütternder Ehrlichkeit, ohne den Zuschauer zu Tränen zwingen zu wollen oder sich selbst zu wichtig zu machen - das hat er beispielsweise dem 2006 bei den Oscars doch etwas zu arg abgefeierten "Brokeback Mountain" klar voraus. 
Sicher, Längen gibt es hier auch einige, die sich inbesondere in der zweiten Hälfte bemerkbar machen, wenn der Regisseur doch etwas zu ausschweifend in den sommerlichen Fahrradtouren und dem gemeinsamen Schwimmen im See schwelgt. Dennoch, lieber ist ein Film zu lang und nimmt sich dabei einmal zu oft die Zeit, seine Figuren leben zu lassen alsdass er die Gefühle der Protagonisten untergräbt und in letztere Falle tappt dieses Werk dann keinesfalls. Es dürfte für manch einen popcornmampfenden Zuschauer, der sich aber wohl ohnehin nicht in diesen Film verirren wird, eine langwierige Sache sein, doch ist solch eine langsame und gleichsam wunderschöne, entlarvene Erzählkunst im Kino so selten geworden, dass ich dennoch keine Minute dieser unkitschigen und aufbauenden Liebesgeschichte vermissen möchte. 
Das größte Talent, welches es hier zu entdecken gilt, hört jedoch auf den Namen Timothee Chalamet und man möchte ihm aufgrund seiner ungemein nuancierten, glaubhaften und ehrlichen Performance nur das beste für eine hoffentlich glanzvolle Zukunft wünschen - verdient hätte es solch ein Talent ohne Zweifel. Neben ihm spielt der unter anderem auch aus "The Social Network" bekannte Armie Hammer die wohl beste Darstellung seines Lebens - unter der scheinbar harten Schale und der Überheblichkeit seines jungen, gut gebauten Arztes schlummert eine Verletzlichkeit, die Hammer ohne große Gesten transportiert und den Zuschauer dabei ohne Umwege und ab dem ersten Moment für sich einnimmt.

Fazit: Der Zugang fällt nicht immer leicht, die 133 Minuten fühlen sich bisweilen etwas lang an, dennoch ist es wunderschönes Erlebnis zu sehen, wie die Sexualität und Selbstfindung eines jungen Menschen ohne Kitsch thematisiert wird - grandios gespielt, wunderbar bebildert und voller Ehrlichkeit und Schönheit. Sicherlich eine Indie-Perle, an die man sich erinnern wird.

Note: 2-






Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Holzhammer pur: Filmkritik zu "Cherry - Das Ende aller Unschuld"

Mit achtzehn Jahren ist sich der Student Cherry (Tom Holland) sicher, in seiner Kommilitonin Emily (Ciara Bravo) die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Als diese ihn jedoch eiskalt verlässt, beschließt Cherry in seiner Trauer, sich für die Army zu verpflichten... noch nicht wissend, dass Emily ihre Meinung ändern und zu ihm zurückkehren wird. Doch der Schritt ist bereits getan und Cherry wird für zwei Jahre in den Irak versetzt, um dort für sein Land zu kämpfen. Die Erfahrungen, die er dort macht und die Dinge, die er dort sehen wird, lassen ihn völlig kaputt zurück... und machen schließlich auch die Rückkehr in seine Heimat und sein folgendes Leben zu einem irren Rausch verkommen, der nicht nur ihn selbst, sondern auch die Menschen um ihn herum zu zerstören droht. Die Brüder Anthony Joe und Russo, die mit dem genialen "Avengers"-Doppel "Infinity War" und "Endgame" zwei der erfolgreichsten und besten Filme unserer Zeit erschufen, holen Tom "Spid

Eddie the Eagle - Alles ist möglich

"Das wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Das wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf." Dieses Zitat, welches den Film "Eddie the Eagle" abschließt, stammt von Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele. Und es bringt den Kern der Geschichte, die in diesem Film erzählt wird, sehr gut auf den Punkt, denn um den Sieg geht es hier eigentlich nicht oder zumindest nicht sehr lange. Aber es wird gekämpft und das obwohl niemand dieses seltsame Gespann aus Trainer und Sportler wirklich ernstnehmen wollte - genau das ist das Herz dieses Biopics, welches viele Schwächen, aber zum Glück auch viel Herz hat... EDDIE THE EAGLE Für Michael Edwards (Taron Egerton) gibt es trotz einer bleibenden Knieverletzung nur einen Traum: Er will in einer Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Schon in seiner Kindheit scheitert er beim Hammerwerfen und Luftanhalten und landet schließlich, sehr

Eiskalte Engel

Die 90er Jahre waren das absolute Revival für die Teenager-Komödie, wobei so manch ein auch etwas verruchterer Klassiker entstand. Dabei gereichte es zur damaligen Zeit bereits für "American Pie", in welchem es sich zwar weitestgehend nur um Sex dreht, der aber dennoch recht harmlos daherkam, zu einem kleinen Skandal. Die logische Fortführung dessen war schließlich "Eiskalte Engel", wo der Sex nicht nur der Hauptfokus ist, sondern im Grunde den einzigen sinnigen Lebensinhalt der Hauptfiguren darstellt. Das ist dann zwar ziemlich heiß und gerade für einen Film der letzten Dekade, der sich an Teenies richtet, erstaunlich freizügig... aber auch sehr vorhersehbar und irgendwie auch ziemlich doof. EISKALTE ENGEL Für den attraktiven Jungspund Sebastian Valmont (Ryan Philippe) ist die Verführung von naiven, jungen Damen der Mittelpunkt des Lebens. Um dem ganzen einen zusätzlichen Reiz zu verschaffen, sucht er stets neue Herausforderungen und geht schließlich mit se