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Die Karte meiner Träume

Die Kindheit kann grausam sein... vor allem wenn man nicht nach den ungeschriebenen Regeln spielt, welche die Welt, die Schule, die Mitmenschen und die Familie einem vorschreiben. Wenn man nicht der größte Sportler aller Zeiten werden und sich in Sachen Handwerk nützlich machen will, sondern sich schon als Knirps mit der Wissenschaft beschäftigt. Seltsame Blicke und verhaltenes Gelächter sind die Reaktionen, mit denen sich dabei auch das kleine Genie T.S. Spivet herumschlagen muss. Leider lässt der Film "Die Karte meiner Träume" nach einer starken ersten Hälfte insbesondere bei diesem Thema überraschend heftig Federn...

DIE KARTE MEINER TRÄUME


Das zehnjährige Wissenschafts-Genie T.S. Spivet (Kyle Catlett) lebt zusammen mit seiner Familie auf einer Ranch in Montana. Vor einem Jahr verlor er seinen Zwillingsbruder Layton (Jakob Davies) durch einen Unfall, seitdem bröckelt die Familie immer weiter auseinander... bis T.S. eines Tages einen Durchbruch schafft. Er macht sich mit gepackten Koffern und einiger Angst auf den Weg nach New York, um dort einen Preis für seine Forschungen entgegenzunehmen, welche die Familie nie ganz ernstnehmen wollte. Da man dort jedoch nichts von seinem Alter weiß, lügt er zuvor, um überhaupt eine Einladung zu erhalten. Der Weg in die große Stadt hält für den Jungen jedoch allerlei Herausforderungen bereit...

Zuallererst fällt auf, wie wunderschön der Film fotografiert ist: Der Schweizer Kameramann Thomas Hardmeier traut sich insbesondere bei Nahaufnahmen und Close-Up's auch mal unkonventionellere Methoden zu und weiß auch beeindruckende Landschaftsbilder, so zum Beispiel der Hof der Familie Spivet oder einen Zug, der durch Wälder und Felder braust, auf wunderschöne Weise umzusetzen, sodass man sich kaum sattsehen kann. Dem zur Seite steht auch in der ersten Hälfte eine wunderbare, unaufgeregte Handlung, die von ihren schön geschriebenen Charakteren lebt. Sie alle haben ihre Eigenheiten, verkommen dabei aber niemals zu dumpfen Klischees - nicht einmal der Vater, der glaubt, hundert Jahre zu spät geboren worden zu sein und sich daher noch immer als Cowboy sieht, verliert seine Menschlichkeit.
Das wird gewürzt mit ein wenig sympathischem Humor und auch einer Portion leiser Dramatik, die aber niemals zum Selbstzweck genutzt wird, sondern dazu dient, die Charaktere und deren Lebensumstände und Herausforderungen zu unterstreichen. Verbunden mit einem schönen Soundtrack, aufgeweckten Darstellern (der junge Kyle Catlett ist eine echte Entdeckung, der Durchbruch blieb ihm bislang aber leider verwehrt) und einer ebenso aufrüttelnden wie anrührend-herzlichen Geschichte entsteht dabei ein sehr schöner, herzlicher Film... wenn er dieses Niveau doch nur gehalten hätte.
T.S.' erste Schritte, bevor er überhaupt die Sicherheit der abgelegenen Farm in Montana verlässt, sind von solch ungezwungenem Charme, dass seine Reise, die verschiedene Stationen und natürlich das Kennenlernen mit verschiedenen Wegbegleitern durchläuft, damit nicht Schritt halten kann. Schon die einzelnen Etappen seiner Fahrt sind, obgleich flott erzählt, doch arg kitschig und naiv geraten und lassen den Schwung des Anfangs deutlich vermissen, auch wenn hier immer wieder Einzelmomente gelingen, die herzlich lachen und auch mal mitfiebern lassen. Dieser kleine Abfall ist dann aber kein Vergleich, was dem Zuschauer letztendlich im Schlussdrittel geboten wird, denn dort werfen die Macher ihren zuvor so trickreich angebotenen Charme und auch das Herz einfach über Bord.
Mit sicherlich gewollter, hier aber vollkommen abgedreht aus dem Ruder laufender Überzeichnung erschaffen sie ein kitschiges und unlustiges Bild von ausschlachtenden Medien, in welchem ein zehnjähriger Junge zur Vernunft aufruft. Hier reihen sich plötzlich unangenehm-schwerlastige Momente aneinander, Probleme werden mit einem kleinen Wimperzucken und auch mal mit einem Faustschlag gelöst, das Kartenhaus kracht mit einem großen Wischen zusammen. Angesichts einer solch wunderbaren ersten Hälfte kann auch das miserable Ende den Film nicht zerstören, hat man damit doch zuvor genug Spaß gehabt. Eine wesentlich bessere Note wird hier aber verwehrt... denn wenn man schon eine gute Idee, sympathische Figuren, tolle Darsteller und eine augenöffnende Optik mitbringt, sollte man diese Pluspunkte doch auch über den ganzen Film halten und nicht nur über den halben.

Fazit: Nach einem charmanten Beginn, der uns tolle Darsteller, erinnerungswürdige Charaktere und eine herzliche Handlung mit Witz und Emotionen gibt, lässt der Film später los, um in einem heillos kitschigen Finale zu enden. Das kostet jede Menge Punkte.

Note: 3







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