Direkt zum Hauptbereich

Tully

Charlize Theron hat sich in den letzten Jahren eine beachtliche und überraschend abwechslungsreiche Filmografie erarbeitet. Oscarprämiert, sowohl im Arthouse- als auch im Mainstream-Kino beheimatet und dabei stets sogar den großen Blockbuster-Produktionen ihren eigenen Stempel aufdrückend. Zuletzt war das zum Beispiel im letzten "Fast & Furious"-Film, in der Gangster-Komödie "Gringo" und auch in "Atomic Blonde" der Fall, wo Theron bewies, dass sie sogar ausgeklügelte Actionszenen selbst darstellen kann und dabei eine starke Figur macht. Nun geht es für Theron aber wieder ins Arthouse-Kino zurück, wofür sie mit "Juno"-Regisseur Jason Reitman zusammenarbeitete - ein Pessimist, wer da nichts Großes erwartet...

TULLY


Die zweifache Mutter Marlo (Charlize Theron) erwartet gemeinsam mit ihrem Ehemann Drew (Ron Livingston) das dritte Kind... und das obwohl sie insbesondere mit ihrem Sohn Jonah (Asher Miles Fallica) bereits heillos überfordert ist. Ihr Bruder Craig (Mark Duplass) legt Marlo eine Nachtnanny ans Herz - diese kümmert sich um das Baby, während die Mutter selig schläft und Kraft tankt. Anfangs sträubt sich Marlo gegen den Gedanken, ihr Kind in die Arme einer Fremden zu geben, doch schließlich fordert der Stress seinen Tribut und sie nimmt das Angebot an. Mit der jungen Tully (Mackenzie Davis) versteht sie sich dann auch sogleich blendend und scheint endlich wieder ins Leben zurückzufinden.

Nach "Young Adult" ist dies nun die zweite Zusammenarbeit zwischen Jason Reitman und Charlize Theron. Der Stern Reitmans ist nach dem doch eher mauen "Labor Day" zwar etwas gesunken, die Qualität seiner Meisterwerke "Juno" und "Up in the Air" aber weiterhin unangefochten, weswegen ich mich auf den Film gefreut habe. Und Reitman liefert auch wieder ab, nicht mehr so grandios und herrlich anarchistisch wie in seinen geliebtesten Werken, aber wesentlich besser als in den letzten Jahren. In atmosphärischer Hinsicht gelingt es ihm dabei auf eindrückliche Weise, das Gefühl des Mutterseins darzustellen - hingebungsvolle, unendliche Liebe und nahezu in den Wahnsinn treibender, bis hin zu Psychosen führender Stress liegen da oftmals ganz nahe beieinander. 
Durch den nie enden wollenden Kinderlärm bezieht er auch die Nerven des Zuschauers mit ein und in einer grandiosen Sequenz, in welcher der Film in wenigen Minuten mehrere Wochen des Wenigschlafens und Ständig-Nachts-Aufstehens aufzeigt, gelingt es ihm, Marlo als fühlendes Wesen zu etablieren und ihren Alltag für den Zuschauer auf schmerzliche Weise nachfühlbar zu machen. Zuschauerinnen, die selbst in der Mutterrolle sind, werden hierbei noch viel mehr einen Zugang finden und Regisseur Reitman für diese niemals überzeichnete, sehr ehrliche und ungeschöne Darstellung danken. 
Natürlich ist das aber auch ein großer Verdienst von Charlize Theron, die unter den internationalen Schauspielerinnen schon so etwas wie Christian Bale darstellt: Wie sich diese Frau stets mit körperlichem Ehrgeiz in jede neue Rolle wirft, ist schlichtweg beeindruckend. In "Monster" bewies sie nachdrücklich ihren Mut zur Hässlichkeit, nun nahm sie für die Rolle der Marlo zwanzig Kilogramm zu, zeigt sich in den unschönsten Posen und wirft sich mitten ins Dilemma - eine faszinierende, entblätternde Darstellung, die sicherlich zu Therons besten Leistungen gehört. Ganz groß ist auch "Die 5. Welle"-Star Ron Livingston - zuerst möchte man bei ihm das Klischee des etwas tumben Mannes feststellen, der den Stress nicht zu sehr fühlt, sich dabei auch heraushält, dennoch erhält auch seine Figur später einige ganz große Szenen. Probleme hatte ich indes aber tatsächlich mit der Titelfigur der Tully, die mir im direkten Gegensatz doch etwas zu gewollt hip und locker rüberkam und die von "The F-Word"-Star Mackenzie Davis auch etwas zu schrill angelegt wird. 
Die Handlung findet für diese Charakteristika aber später nachvollziehbare Erklärungen und lässt uns die Figur nach einer klassischen und dennoch kaum vorhersehbaren Wendung zum Schluss noch einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Dieser Ansatz ist mutig und wird vielleicht auch nicht jedem gefallen, ist bei näherem Hinsehen vielleicht auch etwas zu viel des Guten, verfehlt dabei aber auch seine Wirkung nicht. Wer mit diesem weitestgehend ruhigen Plot etwas anfangen kann und zwischen "Solo" und dem nächste Woche startenden "Jurassic World: Das gefallene Königreich" also etwas Arthouse-Drama zwischenschieben möchte, ist mit "Tully" gut bedient: Die Dialoge zünden, die Schauspieler agieren toll, auch wenn es wieder nicht der ganz große Wurf nicht, denn dafür zünden einige der Plots nicht ganz.

Fazit: Charlize Theron agiert absolut großartig, entblättert sich vor dem Zuschauer mit Mut zur Hässlichkeit und grandioser Ehrlichkeit. Auch der Rest des Films überzeugt durch seine menschliche Atmosphäre, auch wenn nicht jeder Plot wirklich Schwung besitzt.

Note: 3+




Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Eiskalte Engel

Die 90er Jahre waren das absolute Revival für die Teenager-Komödie, wobei so manch ein auch etwas verruchterer Klassiker entstand. Dabei gereichte es zur damaligen Zeit bereits für "American Pie", in welchem es sich zwar weitestgehend nur um Sex dreht, der aber dennoch recht harmlos daherkam, zu einem kleinen Skandal. Die logische Fortführung dessen war schließlich "Eiskalte Engel", wo der Sex nicht nur der Hauptfokus ist, sondern im Grunde den einzigen sinnigen Lebensinhalt der Hauptfiguren darstellt. Das ist dann zwar ziemlich heiß und gerade für einen Film der letzten Dekade, der sich an Teenies richtet, erstaunlich freizügig... aber auch sehr vorhersehbar und irgendwie auch ziemlich doof. EISKALTE ENGEL Für den attraktiven Jungspund Sebastian Valmont (Ryan Philippe) ist die Verführung von naiven, jungen Damen der Mittelpunkt des Lebens. Um dem ganzen einen zusätzlichen Reiz zu verschaffen, sucht er stets neue Herausforderungen und geht schließlich mit se

Eddie the Eagle - Alles ist möglich

"Das wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Das wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf." Dieses Zitat, welches den Film "Eddie the Eagle" abschließt, stammt von Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele. Und es bringt den Kern der Geschichte, die in diesem Film erzählt wird, sehr gut auf den Punkt, denn um den Sieg geht es hier eigentlich nicht oder zumindest nicht sehr lange. Aber es wird gekämpft und das obwohl niemand dieses seltsame Gespann aus Trainer und Sportler wirklich ernstnehmen wollte - genau das ist das Herz dieses Biopics, welches viele Schwächen, aber zum Glück auch viel Herz hat... EDDIE THE EAGLE Für Michael Edwards (Taron Egerton) gibt es trotz einer bleibenden Knieverletzung nur einen Traum: Er will in einer Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Schon in seiner Kindheit scheitert er beim Hammerwerfen und Luftanhalten und landet schließlich, sehr

Holzhammer pur: Filmkritik zu "Cherry - Das Ende aller Unschuld"

Mit achtzehn Jahren ist sich der Student Cherry (Tom Holland) sicher, in seiner Kommilitonin Emily (Ciara Bravo) die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Als diese ihn jedoch eiskalt verlässt, beschließt Cherry in seiner Trauer, sich für die Army zu verpflichten... noch nicht wissend, dass Emily ihre Meinung ändern und zu ihm zurückkehren wird. Doch der Schritt ist bereits getan und Cherry wird für zwei Jahre in den Irak versetzt, um dort für sein Land zu kämpfen. Die Erfahrungen, die er dort macht und die Dinge, die er dort sehen wird, lassen ihn völlig kaputt zurück... und machen schließlich auch die Rückkehr in seine Heimat und sein folgendes Leben zu einem irren Rausch verkommen, der nicht nur ihn selbst, sondern auch die Menschen um ihn herum zu zerstören droht. Die Brüder Anthony Joe und Russo, die mit dem genialen "Avengers"-Doppel "Infinity War" und "Endgame" zwei der erfolgreichsten und besten Filme unserer Zeit erschufen, holen Tom "Spid