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Hereditary - Das Vermächtnis

Wenn in irgendeiner Form nun schon wieder der erschreckendste, grausamste und beste Horrorfilm seit etlichen Jahren angepriesen wird, bin ich von Natur aus bereits skeptisch. Weder der gar mehrfach oscarnominierte "Get Out" noch der zwar starke, letztendlich aber ein wenig hinter den Erwartungen zurückgebliebene "A Quiet Place" hatten diesen Titel verdient - dagegen stehen dann Werke wie "mother!" oder "The Cabin in the Woods", die solcherlei Vorschusslorbeeren wirklich zurecht einheimsten. Und nun ist der nächste Kandidat hier und der Trailer sowie die Kritiken zu "Hereditary" erweckten große Erwartungen. Ob dieser Horror-Schocker diesen nun auch wieder gerecht wird?

HEREDITARY


Annie Graham (Toni Collette) sieht sich mit dem Tod ihrer Mutter konfrontiert. Weder für sie noch für ihren Ehemann Steve (Gabriel Byrne) und die beiden gemeinsamen Kinder Peter (Alex Wolff) und Charlie (Milly Shapiro) scheint der Verlust angesichts der einnehmenden und speziellen Natur, welche Annies Mutter an den Tag legte, ein großer zu sein. Für die dreizehnjährige Charlie reißt es dennoch ein Loch in ihren ohnehin düsteren Alltag... und auch Annie muss schon bald erkennen, dass das Vermächtnis dass einer gigantischen Bedeutung ist, welche beginnt, ihre geliebte Familie in Gefahr zu bringen.

Nein, auch dieser neue Schocker, der momentan sämtliche Kritiker in Verzückung versetzt (93 Prozent bei "Rotten Tomatoes" sprechen schon mal eine eindeutige Sprache) ist nicht der beste Horrorfilm der letzten zwanzig oder gar fünfzig Jahre, wie es in dem starken Trailer noch berufen wird. Dennoch gehört er zu einer Welle an kleinen, gemeinen Horrorfilmen, zu denen man auch "A Quiet Place" und "It Follows" zählen darf... einer Welle, die mir insgeheim sehr gut gefällt, da sie mutig und voller neuer Ideen ist, der aber noch immer das Zeug zu einem absoluten Meisterstück fehlt. An "Hereditary" werden sich, wohl noch stärker als bei den vorangegangenen Werken, die Geister scheiden, denn der Film bietet all das nicht oder zumindest nur in sehr dosierter Form, was sich ein zumeist junges Publikum von einem triftigen Schocker erwartet. 
In der ersten Hälfte ist der Film tatsächlich ein ungemein düsteres und ziemlich unwohles Familiendrama, wobei sich die Familie Graham gleich mit mehreren schockierenden Vorkommnissen herumschlagen muss. Das ist inszeniert wie ein Horrorfilm, aber von unmenschlichen Wesen oder finsteren Dämonen fehlt jede Spur. Stattdessen stellt sich der grausame Schrecken eher dadurch ein, was die Menschen in ihrem Leben durchmachen müssen und wie sie darauf reagieren. Das ist sehr, sehr langsam erzählt und dürfte Mainstream-Zuschauer verschrecken, ich jedoch war ziemlich angetan von diesem wagemutigen und erstaunlich andersartigem Experiment, welches jedoch auch während der ersten Stunde bereits nicht durchgehend gelingt. 
In einzelnen Höhepunkten trifft Regisseur Ari Aster, der hiermit übrigens sein Langfilm-Debut gibt, voll in die Magengrube des Zuschauers und unterstreicht dies mit einer sowohl ruhigen als auch durchgehend beunruhigenden Inszenierung - ein Drama, getarnt als Schocker ohne Jumpscares... dass es so etwas 2018 noch einmal geben würde. Natürlich verweigert sich das Werk dabei den Erwartungen eines Standard-Horror-Publikums und dürfte für erstaunte, vielleicht auch gelangweilte Gesichter sorgen. Und ja, Längen hat der Film freilich und die 127 Minuten können sich zeitweise ziemlich gedehnt anfühlen, auch da die an Wendungen nicht gerade arme Geschichte volle Aufmerksamkeit verlangt. Selten habe ich so viele "Hä?"-Flüsterstimmen in einem Kinosaal vernommen und auch ich war mehr als einmal verwirrt angesichts der neuen Entwicklungen... am Ende löst man all diese Fragezeichen jedoch mit einem ebenso grotesken wie cleveren Schlussakt auf. 
Dieser Vision des Regisseurs wird nicht jeder Zuschauer folgen wollen, besonders da sich der zuvor so extrem realistische Touch hier doch mit dem düsteren Okkulten beißt, was nicht ganz rund wirkt. Dafür liefert Aster aber am Ende noch einmal richtig schön heftiges Horrorkino ab und entwirft einige der stimmungsvollsten Szenen des Gruselkinos der letzten Jahre, wobei das stimmungsvolle Sounddesign und die grandiose Kamera einen nicht gerade unerheblichen Beitrag leisten. Auf Jumpscares greift Aster dabei nicht zurück, sondern entwirft den Schrecken durch atmosphärische Bilder und in den Gesichtern seiner Darsteller. Für den ein oder anderen dürfte "Little Miss Sunshine"-Star Toni Collette hier ein wenig überzeichnen, ungemein mutig und kraftvoll ist ihre Performance dennoch, wobei Gabriel Byrne und besonders die Jungdarsteller Milly Shapiro und Alex Wolff, letzterer bekannt aus dem letztjährigen Überraschungserfolg "Jumanji: Willkommen im Dschungel", ihr kaum in etwas nachstehen.

Fazit: "Hereditary" verweigert sich Genre-Konventionen, liefert ein düsteres Drama mit ruhigem und beunruhigendem Horror-Touch ab. Das ist manchmal sehr lang, oftmals verwirrend und in vielen Momenten ein Schlag in die Magengrube, getragen von einer starken Inszenierung. Nicht ganz rund und etwas sperrig, aber definitiv ein interessantes Experiment.

Note: 3+







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