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Der Vorleser

Wie stellt man eine Person vor Gericht, die grauenvolle Taten begangen hat? So grauenvoll, dass sie zu den schlimmsten Verbrechen gehören, die die Menschheitsgeschichte jemals erleben musste... unter dem Standpunkt, dass der Verbrecher diese Taten hat ausführen müssen, Befehle befolgen musste, da er sonst selbst bestraft, womöglich sogar selbst getötet worden wäre? "Der Vorleser" beschäftigt sich mit der Thematik, Wachpersonal des Nazi-Regimes unter Anklage zu stellen... und geht dabei noch wesentlich weiter, indem er eine der Wächterinnen als Mensch mit Gefühlen und Geheimnissen skizziert. Herausgekommen ist dabei ein ebenso sinnliches wie tief treffendes Drama, welches noch länger nachhallt.

DER VORLESER


Im Jahr 1958 lernt der damals fünfzehnjährige Michael Berg (David Kross) in seiner Heimatstadt Berlin die wesentlich ältere Schaffnerin Hanna Schmitz (Kate Winslet) kennen. Zwischen beiden beginnt schon bald eine sommerliche, geheime Affäre: Michael liest Hanna Geschichten vor, später schlafen sie miteinander. Doch eines Tages ist Hanna plötzlich verschwunden. Jahre später trifft er sie als Jurastudent wieder: Hanna steht wegen grausamen Kriegsverbrechen vor Gericht. Während des Dritten Reichs soll sie als Wächterin in einem Konzentrationslager Selektionen durchgeführt haben. Für Michael wird der Fall, der in seinem Studium als Lehrmaterial dienen soll, zu einem persönlichen Drama...

Insgesamt erhielt "Der Vorleser" sehr wohlwollende Kritiken, war für den besten Film des Jahres bei den Oscars nominiert und brachte auch Kate Winslet endlich den ersten Goldjungen ein. Doch es wurden auch kritische Stimmen laut: Die (fiktive) Person der Hanna Schmitz solle hier durch ihre Vermenschlichung verharmlost worden sein, was ihre (realen) Verbrechen kleiner gemacht hätte, als sie das sind. Das kann ich so nicht ganz unterschreiben, muss man hier doch konstatieren, was der Film (und auch die zugrunde liegende Buchvorlage von Bernhard Schlink) überhaupt sein möchten. Die Verbrechen, die Schmitz beging, werden thematisiert und sie dürften sicherlich für das ein oder andere Gefühl unwohler Gänsehaut sorgen, wenn vor Gericht ausgesprochen wird, was sich diese Frau eigentlich schuldig gemacht hat. 
Dennoch stehen weitestgehend andere Fragen im Vordergrund: Wie viel Schuld kann ein Mensch ertragen? Wie unangenehm können menschliche Fehler sein, wenn man für diese sogar ins Gefängnis gehen möchte, anstatt sie offenzulegen? Und kann ein Mensch, der grausame Verbrechen begangen hat, trotzdem noch lieben, fühlen, leben? Nicht alle diese Fragen kann "Der Vorleser" gewissenhaft und zufriedenstellend beantworten, vielleicht sind diese Fragen auch einfach zu groß für einen einzigen Film. Doch Regisseur Stephen Daldry widmet sich den Fragezeichen mit großer Leidenschaft, viel Ruhe und bemerkenswertem Detailreichtum und tritt sich trotz unterschiedlicher Ansätze und Gefühlsebenen und einer Zeitspanne von über zwanzig Jahren, in denen die Geschichte spielt, niemals auf die Füße. Er erzählt eine ergreifende Liebesgeschichte, durchsetzt mit atmosphärisch-erotischen Momenten und getragen von zwei herausragend miteinander agierenden Darstellern, ehe er später ins klare Dramafach wechselt und beide Figuren erneut aufeinander treffen lässt - diesmal in einem wesentlich düstereren, gewichtigeren Kontext. 
Beide "Geschichten" sind für sich genommen sehr gut, der Film begeht dabei aber auch nicht den Fehler, die atmosphärisch durchaus unterschiedlichen Handlungen voneinander abzugrenzen. Zwar endet der romantisch angehauchte Akt sehr abrupt, trotzdem finden beide Genres immer wieder zueinander und werden keinen Zuschauer wirklich kalt lassen. Für die Schauspieler gibt das Drama dabei natürlich genug Gelegenheit, um zu glänzen: "Titanic"-Star Kate Winslet gibt eine der besten, eindringlichsten und mutigsten Darstellungen ihrer an Höhepunkten nicht armen Karriere und der damalige Newcomer David Kross steht dem in kaum was nach. Er kann die Verletzlichkeit und auch den jugendlichen Drang nach Abenteuern durchgehend glaubhaft auf den Zuschauer übertragen. 
Für deutsche Zuschauer ist auch die Masse an heimatlichen Talenten eine interessante Sache: Da geben sich Stars wie Karoline Herfurth, Alexandra Maria Lara, "Pfefferkorn" Vijessna Ferkic und Bruno Ganz in einer grandiosen Nebenrolle die Klinke in die Hand und schmücken die Besetzung mit nuancierten Leistungen. Einzig Hannah Herzsprung bleibt erwartungsgemäß zurück, sie agiert neben dem britischen "Harry Potter"-Star Ralph Fiennes doch arg blass. Neben ihr stört letztendlich auch der Soundtrack, der das ein ums andere Mal zu aufdringlich agiert und emotionale Szenen somit fast totdudelt. Hier wäre weniger deutlich mehr gewesen, um die Eindringlichkeit gewisser Momente in Stille und nicht in tragischem Kitsch zu belassen.

Fazit: Intensives Drama mit wichtigen Themen, wobei sich Drama und Romantik passend die Klinke in die Hand geben. Ruhig erzählt und von Kate Winselt und David Kross eindringlich gespielt - einzig der kitschige Soundtrack zerstört einige emotionale Momente.

Note: 2-






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