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Schloss aus Glas

Wenn in "Die Rückkehr des Königs" endlich der Schicksalsberg erreicht wird, ist das der emotionale Schlussakt einer gigantischen Reise, die zuvor bereits zehn Stunden andauerte und uns alle verzauberte. Wenn Harry Potter im letzten Teil der Saga um den bebrillten Zauberlehrling seinem Erzfeind in Hogwarts' Trümmern gegenübersteht, ist das nur das I-Tüpfelchen einer achtteiligen Filmreihe. Ist der Weg also tatsächlich das Ziel? Viel wichtiger als das Ziel selbst? Sicherlich, selbst wenn wir das Ziel nicht erreichen. Dies ist nur eine von vielen aufbauenden und teils auch erschütternden Weisheiten, die uns das Drama "Schloss aus Glas" mit auf den Weg gibt... ein großartig erzählter, anrührender und aufrüttelnder Film.

SCHLOSS AUS GLAS


Jeanette Walls (Brie Larson) arbeitet als Klatsch-Kollumnistin und hat sich erst kürzlich mit ihrem Freund David (Max Greenfield) verlobt. Doch ihre Vergangenheit hält sie noch immer weitestgehend unter Verschluss: Damals durchlebte sie einen schieren Alptraum, mit ihrem psychisch gestörten und alkoholkranken Vater Rex (Woody Harrelson) als terrorisierendes Oberhaupt und ihrer Mutter Rose Mary (Naomi Watts), die sich nicht von ihrem Mann trennen möchte und daher den Schrecken auch für die vier gemeinsamen Kinder am Leben erhält. Die Geschwister spenden sich gegenseitig Hilfe und Trost, Schulen und oftmals auch Nahrung und Wasser stehen nicht auf der Tagesordnung. Als Jeanette ihre Eltern im Erwachsenenalter wiedertrifft, kochen die angestauten Emotionen ihrer Kindheit erneut hoch...

Ein bisschen erinnert der Film anfangs an den grandiosen "Captain Fantastic", in welchem Viggo Mortensen einen liebevollen, aber auch oftmals etwas naiven Familienvater spielte, der seine Kinder im Wald großzog und dafür gleich eine Oscar-Nominierung erntete. Woody Harrelsons Rex Walls scheint anfangs in die gleiche Kerbe zu schlagen, möchte er seine Kinder doch nicht zur Schule schicken, sie lieber mit Büchern und täglicher Hausarbeit auf das Leben vorbereiten. Mit der Zeit zeigt sich jedoch, dass "Schloss aus Glas" einen wesentlich düstereren Weg geht: Während Viggo Mortensens Charakter ohne Wenn und Aber immer noch ein guter Mensch war, der mit seinen Methoden die pikante Oberschicht erstaunte und entsetzte, so ist Walls dies nicht unbedingt. Der Film umgeht dabei geschickt die Klischee-Fallen, die sich angesichts eines terrorisierenden Familienoberhauptes angeboten hätten, lässt den Charakter atmen und den Zuschauer oftmals gar Verständnis für seine Lage aufbringen, wenn er versteht, wie dieser Mann zu dem werden konnte oder gar musste, was er nun ist. 
Wenn die verschiedenen, herausragend gut geschriebenen Figuren (dank der Tatsache, dass die Geschichte auf tatsächlichen Ereignissen und der Biografie von Jeanette Walls selbst beruht) hier in emotional aufgestachelten Konflikten aufeinandertreffen, brennt der Bildschirm. Im einen Moment sind wir gerührt von der großen Dramatik, die der Stoff ausstrahlt - wenn Rex mit seinen Kindern Sterne ihr Eigen nennt oder Pläne für das titelgebende Schloss schmiedet, seine große Vision ankündigt. Und dann schlagen wir geschockt die Hände vor dem Mund zusammen, ringen nach Luft, wenn sich die Emotionen entladen und Regisseur Deston Daniel Cretton den Schrecken, den insbesondere die Kinder über Jahre erleiden mussten, ungeschönt und mit aller grausamer Kraft inszeniert. Das ist weniger ermutigend als viel mehr niederschmetternd, geht dabei aber nicht den Weg des moralischen Zeigefingers - viel mehr zeigt er auf, dass kein Mensch von grundauf böse ist und es auch niemals vollkommen ist. Irgendwo gibt es noch immer ein Licht, auch wenn wir dieses manchmal nicht sehen. Das klingt nun kitschig, tatsächlich weicht Cretton solcherlei Phrasen aber geschickt aus, lässt lieber die pure und oftmals auch abscheuliche Menschlichkeit mit voller Kraft auf den Plan treten. 
Für die Schauspieler ist das ein gefundenes Fressen. Die für den großartigen "Raum" bereits oscarprämierte Brie Larson agiert mit so viel leidenschaftlicher Kraft, dass man den Blick kaum von ihr abwenden kann; Naomi Watts und "The Messenger"-Star Woody Harrelson tänzeln geschickt zwischen schrägem Hippie-Paar und vollkommen wahnsinnigem Ausbruch, wobei besonders Harrelson so ekstatisch ist, dass man schwer nachdenken muss, wann dieser ohnehin großartige Mime zuletzt einmal so verdammt gut war. 
Erst gegen Ende, gute zwanzig Minuten vor Ziel, schlingert das Gerüst, wenn man doch etwas zu naiv an die guten Familienwerte erinnert und die Wandlung eines zentralen Charakters doch etwas plötzlich und unglaubwürdig, zudem kurz nach einer vollkommen schockierenden Wendung, vollzogen wird. Das fühlt sich nicht ganz richtig an, bis dahin haben sie aber alle einen herausragenden Weg beschritten. Den Weg eines finsteren, unschönen Dramas, welches trotzdem noch Raum für Licht lässt. Das ist ein ziemlich schwieriger Pfad und Regisseur Cretton hat diesen beachtenswert gut beschritten.

Fazit: Intensives Drama, gesegnet mit großartigen Schauspielern und einer intensiven Geschichte. Düster, streckenweise gar erschreckend grausam, dennoch fehlt es nicht an Herz. Hätte der Film diesen Mut bis zum bitteren Ende durchgehalten, hätte einem Meisterwerk nichts mehr im Wege gestanden.

Note: 2




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