Warum kriegen es deutsche Produktionen eigentlich so selten hin, wirklich gute Trailer zu ihren Filmen zu bringen? Viele richtige Perlen verstecken sich hinter nichtssagenden oder komplett irreführenden Marketings, weswegen genau diese Filme dann von der breiten Masse nicht erfasst werden. Ähnliches scheint zuletzt "Abikalypse" passiert zu sein, wenn man den zumeist guten Kritiken glauben will und es geschah auch bei "Das schönste Mädchen der Welt" aus dem Vorjahr. Der Trailer, der auf Anke Engelke als bananenlutschende, peinliche Mutti, krasse Rhymes und eine gigantische Nase im Gesicht des Hauptprotagonisten beschränkt war, schreckte mich soweit ab, dass ich mir das Endprodukt im Kino sparte. Dank der guten Reviews habe ich ihn nun aber zuhause nachgeholt und siehe da: Er ist tatsächlich ziemlich gut. Das hätte sich angesichts dieser mauen Marketing-Kampagne nur eben kaum jemand vorstellen können.
DAS SCHÖNSTE MÄDCHEN DER WELT
Cyril (Aaron Hilmer) ist intelligent, wortgewandt, musikalisch und fokussiert... und mit einem riesigen Zinken gestraft, wegen welchem er in seiner Klasse enorm gemobbt wird und der sein angeschlagenes Selbstbewusstsein in den Keller treibt. Während einer Klassenfahrt nach Berlin lernt Cyril die Neue in der Klasse, Roxy (Luna Wedler), kennen und verliebt sich prompt in sie. Roxy selbst scheint Cyril jedoch nur als guten Freund zu mögen, verguckt sich lieber in den schüchternen und auch nicht sonderlich hellen Rick (Damian Hardung). Als Roxy dann auch noch unwissend Teil einer geschmacklosen Wette wird, greift Cyril ein und entspinnt ein Geflecht aus Worten, falschen Freunden und echten Gefühlen, die mit der Zeit ihn, Rick, Roxy und weitere Mitglieder der Klasse in die Bredouille bringen...
Viele redeten bezüglich "Das schönste Mädchen der Welt" von einem der besten deutsche Filme des Jahres 2018. Soweit würde ich nun nicht gehen, denn obwohl ich einen Film gesehen habe, der wesentlich besser und tiefer ist als seine Marketingkampagne, gibt es dabei einige Schwächen, die den Genuss getrübt werden. Zuerst will ich aber zu dem kommen, was der Film deutlich auf seiner Habenseite hat und das ist in diesem Fall sogar eine ganze Menge. Zum einen wäre da die talentierte Besetzung: Heike Makatsch als gestresste, ständig grölende Prollo-Lehrerin ist zwar nicht halb so witzig wie offensichtlich von den Autoren gedacht, dafür macht die Jungbesetzung aber wirklich alles richtig. Erwartungsgemäß ist es Luna Wedler als das titelgebende schönste Mädchen, welches einem hier tatsächlich die Schuhe auszieht - eine ungemein glaubwürdige und charmante Performance, welche die Newcomerin hier darlegt. Neben ihr überzeugt allen voran auch Aaron Hilmer, der nicht nur ein paar beeindruckende Rapzeilen aufzeigen darf (die Rapbattles werden als kleine Highlights gestreut und bestimmen auch ein emotional extrem treffsicheres Finale), sondern darüber hinaus als emotionaler Kontext verdammt gut passt.
Zwischen beiden entspinnt sich eine etwas andere Liebesgeschichte, die oftmals zu wirr abläuft, zwischen den Zeilen aber sehr rührend und immer wieder angenehm kritisch ist. "Das schönste Mädchen der Welt" nimmt Themen wie Mobbing, die erste Liebe, künstlerische Freiheit und das Internet auf, ohne sich dabei zu verrennen und hat auch noch einige wirklich clevere und gar weise Messages im Gepäck, die sich manch ein Zuschauer gern hinter die Ohren schreiben sollte. Einzig wenn es um das Alphatier der Klasse geht, wird doch recht arg mit Klischees gespielt: YouTube-Star Jonas Ems macht seine Sache zwar solide und beweist, dass Webvideoproduzenten als Schauspieler auch durchaus mal funktionieren können, seine Figur wird von den Autoren mit fortschreitender Zeit aber ziemlich überzeichnet angelegt.
Ähnlich außer Kontrolle gerät dabei auch der eigentliche Plot des Films, der einen einzigen Konflikt mit der Zeit so aus dem Ruder laufen lässt, dass man sich irgendwann fragt, was das ganze Herumgedruckse eigentlich soll. Dass Cyril lieber dem tumben Nick den Vorzug gibt, damit Roxy nicht in den Armen des Machos landet - nachvollziehbar. Das daraus entsponnene Konstrukt ist aber streckenweise so arg an den Haaren herbeigezogen und fährt der konstant charmanten und glaubwürdigen Charakterzeichnung so dermaßen heftig ins Heck, dass man alsbald zwischen ehrlicher Sympathie zu dem herzlichen Endprodukt und extremem Kopfschütteln angesichts solch einer Naivität der Figuren schwenkt. Ein einziger Satz hätte gereicht, um die gesamte Situation nach zehn Minuten zu lösen... und dass dieser nicht gesagt wird, ist einzig und allein der Tatsache zu verdanken, dass eine Figur in einer Schlüsselszene aussagt, dass sie lieber keine Ratschläge hören möchte.
Das ergibt im Kontext äußerst wenig Sinn und ist somit ein ziemlich schwacher Boden für einen so überzeichneten Konflikt. So entsteht ein recht merkwürdiger Zwitter, denn sein Herz kann der Film trotz dieses arg wackligen Handlungsgeflechts überraschenderweise durchaus bewahren. Das Gezeigte ist dabei so gut, dass es das mittelmäßig Geschriebene durchweg aussticht (auch wenn nicht alle Inszenierungsideen gelungen sind). Beide Seiten passen zwar nicht zusammen und lassen dadurch auch seltsam doppelbödige Charaktere entstehen, die eben immer so gestellt werden, wie sie gerade gebraucht werden... aber es ist irgendwie bis zu einem ganz starken Finale extrem charmant. Also etwas seltsam, aber irgendwie auch verdammt cool. So etwas habe ich so auch noch nicht gesehen.
Fazit: Ein maues Drehbuch erschafft einen wirren Konflikt, der die Charaktere oftmals kopflos agieren und wie Spielbälle der Handlung herumschießen lässt. Dass der Film dennoch so ungemein sympathisch ist, liegt an den großen Gefühlen, dem leisen Humor, den fantastischen Darstellern und kraftvollen Messages. Das ist nicht rund, aber eigentlich ziemlich cool... wenn man das Skript mal außen vorlässt.
Note: 3+
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