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Durchaus begehrenswert: Filmkritik zu "Meine Stunden mit Leo"

Die pensionierte Religionslehrerin Nancy Stokes (Emma Thompson) hatte in ihrem Leben nie die Chance, ihr Sexleben auszukosten. Während der Ehe mit ihrem vor zwei Jahren verstorbenen Mann herrschte in Sachen Sex vor allem Tristesse und auch in den Jahren nach seinem Tod gelang es Nancy aufgrund ihrer Selbstzweifel nie, diese unerfüllten Wünsche anzugehen. Um sich endlich ihre sexuellen Fantasien zu erfüllen, engagiert sie den jungen Sexarbeiter Leo Grande (Daryl McCormack). Doch schon während der ersten Minuten ihres Aufeinandertreffens in einem von Nancy gebuchten Hotelzimmer ist diese so nervös, dass der Akt unmöglich scheint. Leo hingegen versucht, Nancy aus der Reserve zu locken... bis beide mehr übereinander erfahren, als sie zuvor erwartet hätten.

Zu Beginn wirkt dies noch wie eine etwas weniger prunkvolle, als Kammerspiel aufgezogene "Pretty Woman"-Version mit vertauschten Geschlechterrollen. Schon früh bricht Regisseurin Sophie Hyde diese altbekannten Charaktere jedoch gelungen auf und die anfänglichen (wenn auch durchaus charmant präsentierten) Klischees über eine ältere Frau, die es endlich mal wissen will und über einen jungen Mann, der ihr den Weg weist, verwandeln sich in etwas Neues. Dabei gelingt es "Meine Stunden mit Leo" zugleich sinnlich, sehr lustig und unglaublich erhellend zu sein - selbst solch alltägliche Messages bezüglich der eigenen Wünsche und Lüste, die wir nicht ignorieren und für die wir uns sicherlich nicht schämen sollten, kommen nicht als simple Glückskeks-Weisheiten daher, sondern werden sinnig und glaubwürdig in den schön geschriebenen Dialogen verpackt. Dabei ist der Film von einer erotischen, aber niemals schlüpfrigen Atmosphäre geprägt, wobei Funken fliegen, aber die Figur des Leo Grande dennoch seine Professionalität behält.
Zumindest bis zu einem gewissen Punkt, denn innerhalb von 97 Minuten muss sich dieses Karussell natürlich auch ein wenig drehen und tiefer in die Charaktere eintauchen. Das gelingt nicht immer, denn obwohl Hyde schöne und nachvollziehbare Ideen findet, um beide Figuren zu beleuchten und in neuem Licht erscheinen zu lassen, sodass sie beide ihre eigenen Lehren ziehen können, wirken einige dieser Lebensbeichten bisweilen etwas forciert. Sicher, es gibt nur so und so viele Wege, aus einem 2-Personen-Stück letztendlich ein tiefsinniges Drama zu erschaffen und dabei sind es eigentlich immer Dialoge, die diese Wege ebnen. Generell macht das Drehbuch anhand von geschliffenen Gesprächen auch viele Dinge richtig, aber nicht immer wirken diese Arten der Beichten dann auch glaubwürdig. Das ist allerdings Gejammer auf hohem Niveau, da der Film selbst in diesen manchmal etwas zu gewollten Momenten immer noch so schön fotografiert ist, solch eine kluge Dynamik hat und dabei immer wieder sehr ehrlich und mutig wirkt, dass man solcherlei locker verzeihen kann.
Diese Dynamik würde aber natürlich schnell in die Brüche gehen, wenn man nicht zwei Mimen in den tragenden Rollen hätte, deren Chemie nicht stimmt. Über Emma Thompson muss man sich da generell natürlich nie sorgen - sie liefert dabei nicht nur rein physisch mit einer wahnsinnig mutigen und ehrlichen Performance ab, die ebenso sinnlich wie tragisch daherkommt, sondern beherrscht auch die vielen Variationen der Komik, der Angst und des Gewissens praktisch in Perfektion. Ihr gegenüber ist Daryl McCormack glücklicherweise stark genug, um sich von einer Oscarpreisträgerin dieses Kalibers nicht kleinmachen zu lassen - ganz im Gegenteil. McCormack sieht nicht nur unverschämt gut aus, sondern kann mit kleinen Blicken und Gesten solch große Geschichten erzählen, dass es einem ganz warm ums Herz wird. Besonders wenn er mit aufmerksamen Augen die Erzählungen seiner Kundin verfolgt, kann man sich an seinem Gesicht und all den Gefühlen, die sich darin spiegeln, kaum sattsehen. Die Chemie zwischen Thompson und McCormack ist dabei durchweg über jeden Zweifel erhaben, durchweg glaubwürdig, funkensprühend und einnehmend. Ein faszinierendes Filmpaar mit Ecken und Kanten, denen die beiden Würde, Witz und Tiefe verleihen können.

Fazit: "Meine Stunden mit Leo" mag bisweilen gerade in den Drama-Aspekten ein wenig forciert herüberkommen, ist aber dank der beiden herausragend agierenden Hauptdarsteller*innen, flotten Dialogen und einem echten Gespür für Sinnlichkeit, Ästhetik und ungekünsteltem Charme dennoch sehr unterhaltsam und erhellend.

Note: 3+



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