Direkt zum Hauptbereich

Starke Fragen, wenig Antworten: Filmkritik zu "Schwanengesang"

In einer nicht weit entfernten Zukunft hat die Menschheit zwar ausgefeilte Technologien entwickelt, aber noch kein Entrinnen vor dem sicheren Tod gefunden. Nachdem Cameron Turner (Mahershala Ali) die Hiobsbotschaft seines baldigen Todes aufgrund einer schweren Krankheit erhalten hat, wendet er sich an die Wissenschaftlerin Dr. Jo Scott (Glenn Close) - diese hat eine Methode entwickelt, durch welche ein Mensch mit all seinen Erinnerungen, Gefühlen und Erfahrungen vollständig geklont werden kann. Dieser Klon soll noch vor Camerons Ableben seinen Platz in seiner Familie einnehmen, um seiner Frau Poppy (Naomie Harris) und seinem Sohn Cory (Dax Rey) den Schmerz und die Trauer zu ersparen. Doch je näher der Austausch rückt, desto unentschlossener wird Cameron. Kann er es verantworten, jemand anderen als sich selbst zu seiner Familie zu schicken? Werden sie merken, dass es nicht ihr echter Ehemann und Vater ist? Und ist diese Art der Wissenschaft moralisch überhaupt vertretbar?

Ich hatte ein ganz konkretes Problem mit "Schwanengesang", welches ich über die gesamte Dauer von rund 111 Minuten nicht wirklich losgeworden bin und diese betraf leider den Dreh- und Angelpunkt der gesamten Handlung: Der Prozess des Klonens und der gesamte Rattenschwanz, der dort dramaturgisch noch dranhing, gelang für mich nicht überzeugend. Gerade in einem Film, der so menschlich, so ruhig und entschleunigt erzählt wird, fühlte sich eine enorm fortschrittliche Technik wie diese seltsam fehl am Platze an. Auch wenn der Film in der Zukunft spielt und sich einige technische Gadgets deutlich weiterentwickelt haben - die Menschheit scheint noch nicht glaubwürdig an dem Punkt angelangt zu sein, dass solch eine Wissenschaft problemlos möglich sei. Denn dass unsere sozialen Medien mittlerweile in unseren Augen ruhen, was die Smartphones aussterben ließ, ist die eine Sache - einen Menschen nicht nur körperlich, sondern auch geistig zu klonen, ist eine andere. Wirklich erklären, wie diese Technik funktioniert, tut "Schwanengesang" nicht und prinzipiell muss er das auch nicht, da der menschliche Grundkonflikt auch so funktioniert. Trotzdem hat mich die Welt mit diesem Fauxpas, der vieles als Behauptung hinstellt, ziemlich schnell verloren.
Das langsame Tempo der Geschichte, die sich zu oft in emotionalen, aber auch leicht repetitiven Rückblenden verliert, lässt einen zu oft über dieses schwere Manko sinnieren. Der emotionale Grundkonflikt ist dennoch spannend und die aufgeworfenen Fragen rund um eine Moral über diese Art der Technik, und sei sie auch aus noblen Gründen angewendet, regen durchaus zum Nachdenken an. Leider verpasst "Schwanengesang" es, zu diesen Fragen auch ansatzweise klare Antworten zu geben. Er verpasst dem Zuschauer somit durchaus Denkstoff, bleibt aber selbst zu ambivalent. So ist das, was an der Oberfläche präsentiert wird, doch noch etwas interessanter und aussagekräftiger als das, was sich letztendlich noch darunter verbirgt. Insgesamt hätte die Dramaturgie dementsprechend schlüssiger sein können - so bleiben gerade anhand der Firma, die diese Technik entwickelt hat, einige Fragen offen und einige Plotholes muss man schon selbst schließen. So zum Beispiel rund um die Geheimhaltung, um die Finanzierung und wo eigentlich Schluss ist... und wie man es verantworten kann, wenn plötzlich zwei Menschen mit der gleichen Identität ohne echte Sicherheitsvorkehrungen auf der Welt herumlaufen.
Immerhin ist der Film aber ungemein schön fotografiert: Die Bilder besitzen durchweg eine wunderbare Sogkraft und Regisseur Benjamin Cleary versteht sich offensichtlich auf eine feine Komposition aus Farben und Settings. Und dann wäre da natürlich noch Mahershala Ali: Der mittlerweile zweifach mit dem Oscar ausgezeichnete Schauspieler gilt nicht grundlos als einer der talentiertesten Mimen seiner Generation. Und meine Güte, das, was er hier sogar in einer Doppelrolle abliefert, ist mal wieder wahnsinnig intensiv, ohne dabei unangenehm zu überzeichnen. Der Rest des Casts hat im direkten Vergleich zwar weniger zu tun, liefert aber dennoch positiv ab. So untermauert die großartige Glenn Close ihre sehr passiv agierende Wissenschaftlerin zwischen den Zeilen mit ein paar sehr schönen, kleinen Gesten. Und Ali's "Moonlight"-Co-Star Naomie Harris darf mit einem ungemein natürlichen, sehr anziehenden Charme aufwarten - die Chemie zwischen den beiden stimmt durchweg, sodass sie ein sehr glaubwürdiges Paar abgeben können, welches den emotionalen Grundboden für die Erzählung liefert. Rein technisch und darstellerisch lässt sich an diesem Werk also erwartungsgemäß rein gar nichts aussetzen, darüber hinaus aber leider doch etwas mehr.

Fazit: Mahershala Ali ist gnadenlos gut in dieser intensiven Doppelrolle, doch rein dramaturgisch hätte man aus diesem langsam erzählten und oft zu viel behauptenden Sci-Fi-Drama mehr herausholen können. Plotholes fallen aufgrund des niedrigen Tempos zu oft auf, auch wenn die gestellten Fragen bezüglich moralischer Ambivalenz und technischen Fortschritts interessant ausfallen.

Note: 3-



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Holzhammer pur: Filmkritik zu "Cherry - Das Ende aller Unschuld"

Mit achtzehn Jahren ist sich der Student Cherry (Tom Holland) sicher, in seiner Kommilitonin Emily (Ciara Bravo) die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Als diese ihn jedoch eiskalt verlässt, beschließt Cherry in seiner Trauer, sich für die Army zu verpflichten... noch nicht wissend, dass Emily ihre Meinung ändern und zu ihm zurückkehren wird. Doch der Schritt ist bereits getan und Cherry wird für zwei Jahre in den Irak versetzt, um dort für sein Land zu kämpfen. Die Erfahrungen, die er dort macht und die Dinge, die er dort sehen wird, lassen ihn völlig kaputt zurück... und machen schließlich auch die Rückkehr in seine Heimat und sein folgendes Leben zu einem irren Rausch verkommen, der nicht nur ihn selbst, sondern auch die Menschen um ihn herum zu zerstören droht. Die Brüder Anthony Joe und Russo, die mit dem genialen "Avengers"-Doppel "Infinity War" und "Endgame" zwei der erfolgreichsten und besten Filme unserer Zeit erschufen, holen Tom "Spid

Eddie the Eagle - Alles ist möglich

"Das wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Das wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf." Dieses Zitat, welches den Film "Eddie the Eagle" abschließt, stammt von Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele. Und es bringt den Kern der Geschichte, die in diesem Film erzählt wird, sehr gut auf den Punkt, denn um den Sieg geht es hier eigentlich nicht oder zumindest nicht sehr lange. Aber es wird gekämpft und das obwohl niemand dieses seltsame Gespann aus Trainer und Sportler wirklich ernstnehmen wollte - genau das ist das Herz dieses Biopics, welches viele Schwächen, aber zum Glück auch viel Herz hat... EDDIE THE EAGLE Für Michael Edwards (Taron Egerton) gibt es trotz einer bleibenden Knieverletzung nur einen Traum: Er will in einer Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Schon in seiner Kindheit scheitert er beim Hammerwerfen und Luftanhalten und landet schließlich, sehr

Eiskalte Engel

Die 90er Jahre waren das absolute Revival für die Teenager-Komödie, wobei so manch ein auch etwas verruchterer Klassiker entstand. Dabei gereichte es zur damaligen Zeit bereits für "American Pie", in welchem es sich zwar weitestgehend nur um Sex dreht, der aber dennoch recht harmlos daherkam, zu einem kleinen Skandal. Die logische Fortführung dessen war schließlich "Eiskalte Engel", wo der Sex nicht nur der Hauptfokus ist, sondern im Grunde den einzigen sinnigen Lebensinhalt der Hauptfiguren darstellt. Das ist dann zwar ziemlich heiß und gerade für einen Film der letzten Dekade, der sich an Teenies richtet, erstaunlich freizügig... aber auch sehr vorhersehbar und irgendwie auch ziemlich doof. EISKALTE ENGEL Für den attraktiven Jungspund Sebastian Valmont (Ryan Philippe) ist die Verführung von naiven, jungen Damen der Mittelpunkt des Lebens. Um dem ganzen einen zusätzlichen Reiz zu verschaffen, sucht er stets neue Herausforderungen und geht schließlich mit se