Manche Schauspieler beginnen bereits sehr früh mit absolut bravourösen Leistungen, während andere gerade im hohen Alter noch einmal richtig aufdrehen. Ein gutes Beispiel dafür ist June Squibb, die noch mit 85 Jahren für einen Oscar als beste Nebendarstellerin nominiert wurde. Auch wenn sie diesen nicht gewinnen konnte, ist so etwas selbst in einem so fortgeschrittenen Alter noch beeindruckend. Es ist einer der Gründe, warum ich mir "Nebraska" von Regisseur Alexander Payne ansehen wollte, da ich sehr gespannt auf die Leistungen von Squibb und dem ebenfalls oscarnominierten Bruce Dern war...
NEBRASKA
Der alte, senile Rentner Woody Grant (Bruce Dern) lässt sich von einem Werbebrief, welcher ihm eine Millionen Dollar verspricht, dazu hinreißen, nach Lincoln zu gehen, um das Geld dort abzuholen. Obwohl seine Frau Kate (June Squibb) und sein Sohn David (Will Forte) versuchen, ihm die Sache auszureden, stiehlt er sich noch mehrmals heimlich davon, bis David sich schließlich erweichen lässt und mit ihm in die viele Meilen entfernte Stadt fahren möchte... um ihm zumindest den Traum vom Geld für einige Tage zu lassen. Dabei landen die beiden an genau den Orten, wo Woody in seinen jüngeren Jahren gelebt hat und er trifft einige alte Bekannte wieder.
Obwohl ich "The Descendants" von Alexander Payne sehr mochte, obwohl der Film für sechs Oscars (inklusive der Hauptpreise Bester Film und Beste Regie) nominiert wurde und obwohl die Kritiken fast gänzlich positiv ausfielen, habe ich von "Nebraska" nicht viel erwartet. Zu oft schon wurde ich, nachdem ein Regisseur einen Topfilm abgeliefert hatte, von seinem Nachfolgewerk enttäuscht und Paynes neuester Streich roch 2013 dann doch etwas zu stark nach einem Schielen auf die Academy, die sich solch tragikomischen Stoffen mit viel Melancholie doch allzugerne vornimmt, um ihnen mehrere goldene Statuen zu überreichen. So ein Film ist "Nebraska" nun aber natürlich nicht, denn Payne ist ein viel zu versierter Handwerker, der mit sehr viel Herz an seine Projekte herangeht und das spürt man auch in diesem Film immer wieder. Seine seltsam absurd-komischen Szenen, in welcher Bruce Dern als vollkommen verwirrter Woody Grant verloren und in Gedanken abschweifend einfach nur da ist, mal sein verlorenes Gebiss sucht und eisern an seinen Zielen, auch wenn sie Mumpitz sind, festhält, das inszeniert Payne so spielerisch, so nebenbei, dass Lachen und Rührung ganz nahe beieinander liegen. Seine Schauspieler kann er dabei nicht alle zu Höchstleistungen anfeuern, denn wo June Squibb und ganz besonders Bruce Dern, der hier wirklich eine phänomenal gute, weil nuancierte und niemals überzogene Darstellung abliefert, auf ganzer Linie überzeugen, bleibt Will Forte als zweite Geige gegenüber Dern einigermaßen blass und kann die emotionale Verbundenheit dank einem "too much" an Gestik und Mimik nicht immer passend transportieren. Dafür verdient sich aber "Prison Break"-Star Stacy Keach als ehemaliger Kollege Grants eine Extrabenotung. Obwohl Payne seinen Film schön inszeniert und mit viel Witz und Herz bei der Sache ist, gelingt es ihm aber nicht, den Zuschauer gänzlich zu involvieren. Die Geschichte an sich ist schön und verschließt sich glücklicherweise den Hollywood-Emotionen, bleibt geerdet und lebensecht. Leider ist sie mit fast zwei Stunden aber deutlich zu lang erzählt, viele an sich interessante und liebevolle Ereignisse werden in die Länge gezogen und das ohnehin sehr langsame Erzähltempo streckt sich besonders in der zweiten Hälfte, in welcher sich "Nebraska" immer wieder im Kreis dreht... was seiner sympathischen Hauptfigur natürlich irgendwie angemessen ist, erzähltechnisch aber einige Schwierigkeiten mit sich bringt. Auch hat sich mir nicht erschlossen, warum Alexander Payne den Film unbedingt in Schwarzweiß drehen wollte. In (vielleicht etwas untersaturierten) Farben hätte er genauso, womöglich sogar noch besser funktioniert, denn die Monotonie der (an sich sehr hübsch komponierten) Bilder wird so noch ermüdender. Ein neuer Top-Film (ein Meisterwerk wäre auch für "Descendants" vielleicht noch zu hochgegriffen) ist Alexander Payne erwartungsgemäß nicht gelungen. Seine sehr sympathische, witzig-emotionale Geschichte hat tolle Momente und starke Darsteller zu bieten, ist in seiner Langsamkeit aber äußerst zäh und auf Dauer doch ein wenig zu lasch. Ein typischer Oscar-Film ist das sicherlich nicht, auch wenn er mit dessen Stilmitteln spielt und dabei leider scheitert, wenn auch bestimmt nicht durchgehend.
Note: 4+
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