Insgesamt waren die Oscar-Filme des vergangenen Jahres nicht der ganz große Wurf. Bis auf "Brooklyn" war keiner von ihnen schlecht, bis auf "Der Marsianer" aber keiner von ihnen richtig gut. "Spotlight", "The Revenant", "The Big Short", alles gute Filme, keine Frage, aber ihnen allen fehlte das gewisse Etwas. Aber nun, obwohl ich "Bridge of Spies" und "Mad Max: Fury Road" noch nicht gesehen habe, weiß ich aber, welcher der Anwärter das Highlight darstellte: "Raum" ist ein intensives, meisterhaft inszeniertes und gespieltes Kammerspiel, welches einen noch lange dem Rollen des Abspanns beschäftigen wird.
RAUM
Die junge Mutter Joy (Brie Larson) und ihr fünfjähriger Sohn Jack (Jacob Tremblay) leben in einem kleinen Raum. Ein wenig Tageslicht scheint durch ein Fenster in der Decke, ansonsten befindet sich außer einem Schrank, einem Bett und einer Toilette nicht viel darin. Die beiden verbringen die Tage mit Sport, Spielen, Kochen und Lernen. Jeden Tag kommt ein Mann namens "Old Nick" (Sean Bridgers) vorbei und versorgt Joy und Jack. Jack hält es für Zauberei, denn wo sonst sollte dieser Mann herkommen, wenn es außer "Raum" gar nichts gibt? Nach und nach lüften sich für Jack jedoch bald die Geheimnisse außerhalb seiner kleinen Welt...
Es ist extrem schwierig, eine Kritik über einen Film wie "Raum" zu schreiben, der so sehr davon lebt, dass der Zuschauer nie mehr weiß als Jack, aus dessen Augen er alle Erlebnisse wahrnimmt. Ich versuche es dennoch und werde auf Spoiler verzichten, denn am besten sollte man diesen Film so sehen, wie ich es tat: Ohne großartiges Vorwissen, vollkommen unvoreingenommen, erst dann entfaltet dieses Werk seine größte Kraft. "Raum" teilt sich grob in zwei inszenatorisch unterschiedliche Teile auf, die dennoch unfassbar gut zusammen funktionieren. Beide Teile erzählen das Leben aus den Augen eines unschuldigen Kindes, nur in anderen Fassungen. Dieses Kind wird gespielt von Jacob Tremblay, von dem wir sicherlich in Zukunft noch viel hören werden, denn der nahm nicht nur die anwesenden Stars der diesjährigen Oscar-Verleihung mit seiner unverwechselhaften Ausstrahlung für sich ein, sondern überzeugt auch mit einem ehrlichen, ausdrucksstarken und intensiven Spiel. Seine Filmmutter Brie Larson gewann für ihre Leistung vollkommen zurecht den Oscar für die beste Hauptdarstellerin, mit welcher Kraft und welchem Mut zum Äußersten sie sich in dieses Drama stürzt, das sieht man wahrlich selten. Auch Larsons Karriere wird durch diesen Film wohl noch einmal enorm angeschoben werden, sie zeigt sich hier als eine der besten Schauspielerinnen ihrer Generation, ihre Darstellung wird noch sehr, sehr lange im Gedächtnis bleiben. Darüber hinaus ist "Raum" auch fantastisch inszeniert. Jede Kameraperspektive sitzt und hat Sinn, jegliche Szene hat ihre Wirkung, das Tempo ist gut, ohne sich auch nur ansatzweise hetzen zu lassen, der sparsame Einsatz von Musik ist vorbildhaft. Regisseur Lenny Abrahamson versteht es unfassbar gut, jegliche Szenerie in kraftvolle, aber niemals pathetische Bilder zu setzen und den Zuschauer so ungemein zu packen. Da spielt ihm auch das grandiose, oscar-nominierte Drehbuch in die Hände, welches seine Geschichte niemals verrät und dabei dennoch eine gnadenlose, dramatische Spannung verleiht. Immer wieder werden die Erwartungen des Zuschauers untergraben oder gar komplett umgeschwenkt, kaum wittert man die Gefahr einer Abnutzung einer Szenerie auch nur im entferntesten, reagieren die Autoren und gehen noch einen Schritt weiter, manchmal gar in eine gänzlich andere Richtung, ohne dass der Film dabei außer Kontrolle gerät. Ist man streng, ist die erste Hälfte dank der intensiven Spannung und dem meisterhaften Zusammenspiel zwischen Larson und Tremblay wohl die noch bessere, doch auch nach der Halbzeit begeistert "Raum" mit seiner einfühlsamen Erzählweise und großen Emotionen, die ehrlich und zu keinem Zeitpunkt kitschig entfaltet werden. Erst im letzten Drittel tappt "Raum" ein wenig in die Falle der Vorhersehbarkeit und gerät in Gefahr, etwas zu konventionell zu enden. Da sieht man einige Wendungen doch kommen und muss hinnehmen, dass der Film nicht ganz so intensiv und überraschend zu seinem Ende kommen kann. Das ist zwar schade und kostet sogar ganz, ganz knapp die Bestnote, dennoch ist "Raum" ein Film, den jeder gesehen haben sollte. Fazit: Ein grandios erzähltes Drama, wundervoll gespielt, einfühlsam inszeniert, mit Ruhe, Kraft und Bildern, die man so schnell nicht mehr vergisst. Eines der wenigen, klaren Highlights der Oscar-Saison 2016.
Note: 2+
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