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American Honey

Manchmal ist es leider unmöglich, kleine Independent-Filme im Kino zu sehen. Während die großen Blockbuster in den Kinos zu allen erdenklichen Uhrzeiten laufen und dabei kleineren Filmen auch mal die Sääle wegschnappen, laufen interessante Geheimtipps wie das Drama "American Honey" nur einmal am Tag... und dann auch noch um 14 Uhr, wenn die meisten arbeiten müssen. Nun hatte ich in den Ferien plötzlich doch noch Zeit, mir das vielversprechende Werk anzusehen und dabei vielleicht sogar einen Tipp für den Film des Jahres gefunden.

AMERICAN HONEY


Star (Sasha Lane) muss raus aus allem. Am Limit lebend, mit einem alkoholkranken Vater und einer Mutter, die sich um sie und ihre kleinen Geschwister nicht kümmern möchte, hat sie einfach genug, was die achtzehnjährige dazu bringt, quasi spontan in einen Reisebus einzusteigen, in welchem verschiedene Jugendliche durchs Land fahren, um Zeitschriften-Abos zu verkaufen. Als eine Crew agierend gerät Star in ein völlig neues Lebensumfeld, erfährt Zusammenhalt und Freundschaft. Als sie jedoch Jake (Shia LaBeouf) näherkommt, welcher eine Beziehung zu der Anführerin Krystal (Riley Keough) führt, wird Star auch mit den dunkleren Seiten dieses Lebens konfrontiert und hinterfragt die Arbeitsweisen ihrer Crew...

162 Minuten geht dieser Roadtrip durch die halbe USA und allein einen Film, der im Grunde keine stringente Handlung aufweist, sondern sich eher dazu berufen fühlt, das Lebensgefühl von Freiheit zu vermitteln, und ihn trotz der Laufzeit kaum eine Minute zäh wirken zu lassen, das ist bereits eine beachtenswerte Leistung. Und auch darüber hinaus besitzt Regisseurin Andrea Arnold einen Blick auf das große Ganze, was sie vorhat und schafft es, dieses Lebensgefühl ausdrücklich zu vermitteln, stellenweise so realistisch, dass man das Gefühl hat, selbst mit den Jugendlichen im Bus zu sitzen. Sie ist mit der Kamera immer ganz nah dran, nutzt verwackelte Aufnahmen und Unschärfen, um den Realismus zu steigern und diese Ideen gehen beinahe alle auf. 
Wild, aber niemals zügellos, beschreibt sie den Alltag einer Gruppe Jugendlicher, die sich ihr Leben schwer erarbeiten müssen. Ohne Dach über dem Kopf, teils mit schweren Vergangenheiten, die für jeden Cent kämpfen müssen und dennoch ihre Lebensfreude finden, sei es durch Freunde, Sex, Drogen oder einfach die Freiheit, Dinge tun zu können, die sie lieben und sich ihre Träume zu erarbeiten. Dabei geht es sehr ruhig zu, Arnold hat ein Gespür dafür, ihre Charaktere leben zu lassen, sie nicht bloße Phrasen über Zukunft, Liebe und Träume aufsagen zu lassen, sie nimmt uns stattdessen mit auf einen Trip, welcher die Seelen der Figuren offenlegt. Bei einer solch großen Gruppe ist natürlich nicht für jeden Zeit, ihn ganz so groß zu beleuchten, weswegen man sich besonders Hauptfigur Star annimmt. Doch auch bei den Nebenfiguren reichen manchmal kleine Sätze und Details, damit wir sie zwar nicht verstehen, aber gefühlsmäßig einordnen können. Da ist die junge Frau, die in Darth Vader aus "Star Wars" ein gebrochenes Herz sieht, da ist der Grobian, der sich ständig entblößen will und zuletzt ist da Krystal, deren Motivationen ein wenig seltsam bleiben, die das Geld hortet und dennoch andere Ziele zu haben scheint. 
Neben Riley Keough ist es dann natürlich nur noch Shia LaBeaouf, der schon so etwas wie eine Medienerfahrung mit sich bringen kann und gerade das stört dann doch ein wenig. Der auf abstrakte Kunst versessene LaBeouf versucht weiterhin, sich von dem spröden Blockbuster-Kino, zu welchem er dank Auftritten in "Transformers" und "Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels" gekommen ist, zu trennen und dass ihm dies mit solch kleinen Filmperlen gelingen wird, steht außer Frage. Dennoch scheint sich LaBeouf zu zwingen, nun ein wenig gegen den Strom zu schwimmen, weswegen seine darstellerischen Ausfälle, seine skurille Art hier doch ein wenig arg gewollt wirkt. Da fällt er neben den anderen, durchaus wie aus dem Leben genommenen, unglaublich natürlichen Darstellern doch etwas negativ auf, besonders Sasha Lane stiehlt ihm als Hauptakteurin eindeutig die Schau, denn sie für sie reicht ein Blick, um ganze Emotionen zu überliefern. Sie hält diesen Film zusammen und gerade dabei ist es erfreulich, dass man sich nicht in Klischees des Genres drücken lässt, sondern ganz eigene Situationen erfindet. Zwanzig Minuten vor Schluss wusste ich tatsächlich noch nicht, wohin das Ganze führen wird und das ist bei mir definitiv nicht oft der Fall.
Fazit: Ein Roadtrip, der ein ganz neues Lebensgefühl vermittelt. Trotz einer Fehlbesetzung namens Shia LaBeouf gelingt es dank ansonsten natürlicher Darsteller und wunderschöner Atmosphäre, den Zuschauer zu packen und das Lebensgefühl der Jugendlichen spüren zu lassen.

Note: 2




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