Ich war nie das, was man als hochbegabt bezeichnen würde. Damals, als ich mir bereits vor der Grundschule teilweise selbstständig Lesen und Schreiben beibrachte, zog das zwar Aufmerksamkeit auf mich, aber letzten Endes stellte sich eben doch nur heraus, dass ich eine Leseratte war und mich immer gut ausdrücken konnte, während ich in anderen Fächern wie Mathematik und Biologie durchschnittlich bis unterdurchschnittlich blieb. Mir war also ein ganz normales Leben vergönnt... das, was Frank Adler seiner sogenannten Tochter Mary ebenfalls ermöglichen möchte, obwohl diese mit ihren sieben Jahren im Bereich der Mathematik wesentlich schlauer und konzentrierter ist, als es die meisten von uns wohl in ihrem ganzen Leben jemals sein werden. Dies funktioniert jedoch nicht und aus diesem Plot ergibt sich dann folgender Film...
BEGABT - DIE GLEICHUNG EINES LEBENS
Nur wenige Monate nach ihrer Geburt übernahm Frank Adler (Chris Evans) das Sorgerecht um die kleine Mary Adler (Mckenna Grace), die Tochter seiner früh verstorbenen Schwester Diane. Mary stellt sich schon früh als hochbegabt hinaus, weswegen Frank lange damit zögerte, sie auf eine normale Schule zu schicken: Diane verlangte, dass Mary trotz ihrer Begabung ein vollkommen normales Leben führen sollte. Unter den Lehrkräften spricht sich die enorme Intelligenz des kleinen Mädchens schnell herum - vergeudetes Potenzial und sogar eine falsche, Mary einengende Erziehung stehen plötzlich im Raum. Als schließlich auch noch Franks Mutter Evelyn (Lindsay Duncan) auftaucht und darauf picht, endlich das Potenzial des Kindes für ein höheres Wohl freizusetzen, klingeln bei Frank alle Alarmglocken...
Offensichtlich hat er sich im Blockbuster-Gefilde doch nicht so recht wohlgefühlt, denn nachdem seine beiden "Spider-Man"-Reboots mit Andrew Garfield aus den Jahren 2012 und 2014 beim Publikum doch nicht den erwünschten Erfolg erzielten, Sony das Helden-Flaggschiff sogar zu Teilen an Marvel abtrat, kehrte Webb dem Spektakel den Rücken und widmete sich 2017 einem menschlichen Drama, fort von Spezialeffekten und Netzschwingern. Das steht ihm auch gut zu Gesicht, muss er sich hier doch nicht auf mehr Greenscreens, sondern einfach auf seine herzerwärmende Geschichte und seine spielfreudige Besetzung konzentrieren.
Ein absolut gelungener Film ist "Begabt" zwar nicht geworden, denn dafür fehlt es doch an einigen Ecken und Kanten und auch ein wenig an emotionaler Wucht, immerhin gelingt ihm jedoch das Kunststück, den Zuschauer trotz einer manchmal etwas dürftigen Handlung dauerhaft für 100 Minuten lang zu fesseln. Und das will schon etwas heißen angesichts einer Prämisse, die im Grunde schon schwer zu schlucken ist (wird eine solche "Begabung" denn nun tatsächlich einfach vollkommen vererbt?) und die einige Plotholes so eindeutig im Raum stehen lässt, dass man sich fragt, wieso man nicht zumindest den Versuch unternimmt, solcherlei Löcher etwas besser zu kaschieren.
Auch in der Charakterzeichnung ist das Ganze dann doch etwas zu sehr in Schwarz und Weiß abgedriftet: Obwohl beide Seiten in dem spannend geschriebenen Streit rund um Marys Sorgerecht einigermaßen überzeugende Argumente liefern, wird Chris Evans' Frank eben doch von Anfang an klar als zwar nachdenklicher, dafür aber wesentlich lebendigerer Sympathieträger inszeniert, während Lindsay Duncan die wesentlich kühlere, alte Dame aus Großbrittanien darstellt. Angesichts dessen, dass man Marys eigentliche Probleme, insbesondere im Hinblick auf ihre sozialen Kompetenzen, allerdings nur sehr karg beleuchtet, fehlt es auch diesem im Fokus stehenden Konflikt ein wenig an Druck... zu selten wird thematisiert oder klar gemacht, was für Mary denn nun das Beste sei, sodass auch der Zuschauer nicht wirklich weiß, zu wem er denn nun halten soll - das Drehbuch schlägt sich zwar auf eine klare Seite, doch bleibt unklar, ob das denn nun so auch wirklich okay ist. Hier macht es sich Webb etwas zu einfach und lässt lieber große Gefühle, tränendrückende Trennungen und natürlich ein emotionales Finale, welches am Ende eine Wendung zu viel bereithält, wirken, um solcherlei Unzulänglichkeiten hinwegzuspülen.
Überraschend, dass aber genau das funktioniert: Man vergisst die arg konzipierte Handlung, da die Dialoge genug Feuer beweisen, es immer wieder Einzelszenen von herrlichem Witz und einzigartiger Lebensweisheit gibt und auch die Schauspieler enorm viele Kohlen aus dem Feuer holen. Neben einem gewohnt soliden Chris Evans muss man hierbei auch "Hidden Figures"-Star Octavia Spencer und die junge Mckenna Grace hervorheben. Grace glänzte in diesem Jahr bereits in zwei erfolgreichen Hollywood-Filmen: Das mehrfach oscarnominierte Sportler-Biopic "I,Tonya" und Steven Spielbergs Mega-Blockbuster "Ready Player One", in "Begabt" übernimmt sie jedoch eine Hauptrolle und übertrumpft mit ihrem gewitzten und natürlichen Spiel auch gerne mal ihre bekannteren. erwachsenen Co-Stars.
Fazit: Auf dramaturgischer und handlungstechnischer Seite holpert das Getriebe oftmals deutlich, erstaunlicherweise gelingt es Regisseur Marc Webb aber mit entwaffnendem Dialogwitz, sympathischen Charakteren und herausragend aufgelegten Darstellern immer wieder, den Zuschauer für seine Handlung zu gewinnen.
Note: 3+
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