Vor acht Jahren habe ich Michael Fassbender am Set des historischen Dramas "Eine dunkle Begierde" persönlich treffen dürfen, was eine bleibende Erfahrung war: Es war definitiv beeindruckend, solch großartigen Leinwandschauspielern wie ihm, Keira Knightley und Viggo Mortensen bei der Arbeit zuzusehen, wobei zumindest Fassbender 2010 noch nicht der große Name war, der er heute ist. Seinen absoluten Durchbruch feierte er nämlich im Jahr 2011, als er gleich in fünf wirkungsvollen Filmen mitspielte: Seine Rolle als junger Magneto im bislang besten X-Men-Film ist dabei die bekannteste, doch dann war da auch noch das leise Drama "Shame", wofür Fassbender zurecht von Kritikern in den höchsten Himmel gelobt wurde...
SHAME
Eigentlich folgt Brandons (Michael Fassbender) Leben einer klaren Struktur: Er ist erfolgreich im Job, hat eine eigene Wohnung, ist eher der Einzelgänger, gibt sich aber auch unter Menschen durchaus charmant und kultiviert. Hinter verschlossenen Türen offenbart sich jedoch seine Sexsucht - er hält nicht mal einen Arbeitstag im Büro aus, ohne die Toilette aufzusuchen und sich selbst zu befriedigen. Er konsumiert etliche Pornos, schläft mit Prostituierten und selbst der Anblick einer Frau in der U-Bahn bringt ihn in Wallung. Als eines Tages Brandons Schwester Sissy (Carey Mulligan) in seiner Wohnung auftaucht und darum bittet, für einige Zeit bei ihm leben zu dürfen, droht die junge Frau, seinen durchgetakteten Alltag und auch die düsteren Geheimnisse darin durcheinander zu bringen...
"Shame" bedeutet die zweite Zusammenarbeit zwischen Regisseur Steve McQueen und Schauspieler Michael Fassbender nach ihrem gemeinsamen Durchbruch in "Hunger"... und auch hier legen sie einen Film vor, der polarisiert und ein mutiges Stück darstellt. Es gehört ohnehin schon einiges an Mut zu, ein solch verpöntes Thema wie Sexsucht anzufassen und es zum Fokus in einem abendfüllenden Film zu stellen. Geht man dann auch noch ohne Klischees und weitestgehend ohne Wertungen an die Sache heran, dann ist es umso mutiger. Ja, Brandon ist süchtig nach Sex, er braucht den Kick, er braucht eine stetige Steigerung, er behandelt seine Mitmenschen nicht (immer) gut und er tut einige Dinge, die den guten Geschmack übersteigen. Bis auf wenige Ausfälle tut er jedoch den Menschen in seiner Umgebung nicht weh, was ihn definitiv nicht zu einem schlechten Menschen macht... sondern zu einem kranken. Schaden tut er dabei, ohne seine Sucht kontrollieren zu können, weitestgehend sich selbst, was im letzten Drittel dieses Films immer klarer wird und was Steve McQueen in packende Bilder transferieren kann.
Das größte Lob, was man "Shame" machen kann, ist also, dass man das Thema nicht verkalkuliert, sondern sich ihm auf menschliche Art und Weise widmet... und um das zu transportieren, ist Michael Fassbender erwartungsgemäß genau der richtige Kandidat. Er transportiert die innere Kälte seiner Figur, er transportiert aber ebenso auch den Charme, glaubhaft, unaufdringlich und manchmal gar so elektrisierend, aus sich herausbrechend, dass es den Zuschauer förmlich in den Sessel drückt - ganz, ganz großes Schauspiel. In einer der spannendsten Szenen des Films, kurz nach Beginn, braucht es nicht einmal Worte, um eine eigene Geschichte zu erzählen: Brandon sitzt in einem Zug und tauscht Blicke mit einer Dame auf der anderen Seite der Sitzflächen aus. Was Steve McQueen mit Ruhe, perfekter Kameraarbeit und einer unfassbar intensiven Schauspielerführung hier anstellt, das muss man einfach gesehen haben und nebenbei erzählt er in diesem Moment mehr Handlung, mehr Gefühl, mehr Charakterstudie als in sämtlichen, nachfolgenden Dialogen.
Doch auch später lässt McQueen glücklicherweise immer wieder die intensive Bildsprache für sich sprechen, verlässt sich weniger auf Text, den es hier auch nicht braucht. Durch das grandiose Spiel seines Hauptdarstellers lernen wir Brandon kennen, wir lernen, mit ihm zu fühlen, ihn manchmal zu hassen, aber (und das ist am wichtigsten) auch zu verstehen. Im Mittelteil habe ich die Bindung zu Brandon aber leider ein wenig verloren - zum Glück verweigert sich McQueen einem laschen Konflikt, trotzdem lief "Shame" für eine Weile in eine etwas unfokussierte Richtung, bevor er sich für ein ziemlich heftiges Schlussdrittel zum Glück doch noch in den Sattel setzt. Eine Schockszene kurz vor Schluss hätte es zwar auch nicht gebraucht, kommt diese doch etwas arg plakativ daher, dafür verdient sich McQueen mit der allerletzten Szene absoluten Applaus: Hier wird der ganze Plot durch einen kurzen Moment absolut rund. Nein, es ist schon ein ziemlich feines Stück Film, was er hier abgeliefert hat, etwas Besonderes und absolut Mutiges. Ein Film, den man so eben auch nicht mehr alle Tage findet.
Fazit: Intensive Charakterstudie über einen sexsüchtigen Mann, kaum plakativ, ungemein tiefschürfend, dabei seltsame Klischees vermeidend. Getragen von einem Michael Fassbender, der vielleicht noch nie so gut war, entsteht ein zwischendurch schlingerndes, aber darüber hinaus zutiefst bewegendes und packendes Drama - mutig, stilvoll, aufrüttelnd.
Note: 2-
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