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Silent Night - Und morgen sind wir tot

Wie jedes Jahr laden Nell (Keira Knightley) und Simon (Matthew Goode) zum Weihnachtsfest mit der ganzen Familie. Es soll ein zumindest auf dem Papier heiteres Zusammensein sein... nur ist es dieses Jahr anders. Denn es soll das letzte Weihnachten für die Menschheit sein, die vor ihrem endgültigen Sterben steht. Mit diesem Schicksal vor Augen, dem sich keiner entziehen kann, sollen unter den Freunden und Familienmitgliedern noch einmal alte Erinnerungen ausgetauscht, Umarmungen vollzogen und Liebesbekundungen ausgesprochen werden. Doch das ist gar nicht so einfach, wenn sich die einzelnen Gäste auch vor dem drohenden Untergang der Zivilisation nicht wirklich grün sind... und sie nur miteinander auskommen sollen, weil es eben eine weihnachtliche Tradition darstellt und an diesem finsteren Tag niemand wirklich allein sein soll.

Und wieder droht der Weltuntergang. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen aber nicht auf die pompöse Emmerich-Art (wobei die uns mit "Moonfall" ja auch schon erwartet), sondern als schwarzhumorige und als solche wahnsinnig erschütternde Anti-Komödie ohne viel Krachbumm, dafür aber mit gepfefferten Dialogen und schmerzhaften Anspielungen auf unsere heutige Gesellschaft. Was in "Don't Look Up" bereits so gut funktionierte, geht auch im Langfilm-Debüt von Regisseurin Camille Griffin ziemlich gut auf, da sie die richtigen Fragen stellt, unbequeme Antworten gibt und dazwischen ein herrlich aufgelegtes Star-Ensemble aufeinander loslässt. Im Gegensatz zum Netflix-Blockbuster versteht sich "Silent Night" jedoch als Kammerspiel: Ein ganzer Haufen zumeist schriller, zumeist auch arg unsympathischer Figuren sitzt hier auf einem Fleck und da wollen sowohl einige Fehler der Vergangenheit als auch das drohende apokalyptische Szenario noch einmal ausdiskutiert werden. Das gelingt Griffin nicht ohne hocherhobenen, moralischen Zeigefinger, der in diesem Thema aber auch mehr als angebracht ist... und dennoch nicht ohne spitzzüngigen Humor auskommt. Wenn zwei Protagonistinnen sich bei einem Glas Wein darüber beklagen, dass sie damals doch wirklich die Grünen hätten wählen sollen, dann ist das sehr nah an unserer Realität dran und in dieser Form noch nicht mal überspitzt gezeichnet.
Überspitzt agieren hingegen die meisten der Charaktere und das darf man auch als Schwachstelle kennzeichnen. Natürlich versteht sich "Silent Night" über weite Strecken als schwarze Komödie und einige der schrillen Figuren sind in der Tat irrsinnig komisch. Viele von ihnen kommen jedoch nicht über das Dasein als ziemlich nervige Stichwortgeber hinaus, bleiben bis zum Schluss sehr unsympathisch, was das finstere Drama der letzten halben Stunde ein wenig zu torpedieren droht - der schlagartige Wechsel zwischen skuriller Komik und ganz leisen, stellenweise arg bedrückenden Drama-Aspekten mag manchmal etwas schwer wirken. Trotzdem bekommt Griffin auch hier noch mal die Kurve, weil ihre Dialoge wahnsinnig zielsicher geschrieben sind und die Figuren, trotz zu wenig Screentime, immer noch eine ganze Menge aus ihren recht klar gezeichneten Rollen herausholen. Es ist zwar schade, dass eine so brillant aufspielende Lily-Rose Depp, die hier einen maßgeblichen Konflikt ins Rollen bringt, etwas arg in den Hintergrund gedrängt wird, letztendlich bekommt aber jeder seine starken Momente - sowohl in komödiantischer Hinsicht als auch in der Schwermütigkeit. Neben einer großartigen Keira Knightley sei an dieser Stelle vor allem "Jojo Rabbit"-Star Roman Griffin Davis zu erwähnen, der als eine der wenigen moralischen Instanzen in diesem egomanischen Haufen ungemein pfiffig agiert.
Und am Ende hat man trotz der teilweise skurill aufgezogenen Prämisse schon einen Kloß im Hals. Griffin findet eindrückliche, aber niemals effekthascherische Bilder für das globale Unglück (welches in dieser Form nicht nur passend aktuell, sondern auch originell daherkommt) und findet in einer perfekt geschnittenen Abschlussszene genau den richtigen Drive. Die Ausweglosigkeit, das Wegbrechen aller Hoffnungen und trotzdem selbst in den letzten Sekunden die Egomanie - die Menschen sollen es wohl nie lernen und können sich sogar im Angesicht des unvermeidlichen Todes in ihrer Engstirnigkeit steigern. Das mag hin und wieder etwas plakativ wirken und manch einen schrillen Gag hätte man sich dabei besser verkniffen, doch die gezeichneten Tiefschläge und emotionalen Knackpunkte sind zu diesem Zeitpunkt viel zu stark, um sich noch über solcherlei Kleinigkeiten aufzuregen. Einen der größten Tiefschläge hätte man sich vor dem Rollen des Abspanns aber wirklich sparen sollen, denn das letzte "Wir setzen noch einen drauf"-Ausholen bringt weder dem Film noch der Message an sich etwas, wirkt arg gewollt und torpediert gar ein wenig die vorhergehende Dramatik. Das, was wir zuvor sahen, war emotional treffsicher genug - da muss man nicht um jeden Preis doch noch mal eine Überraschung draufsetzen... auch da diese relativ vorhersehbar erscheint.

Fazit: "Silent Night" ist ein zu gleichen Teilen unbequem schwarzhumoriges Kammerspiel und ein emotional unglaublich tiefgreifender Apokalypsen-Film. Diese Vermischung funktioniert aufgrund der schrillen Figuren und der scharfen Dialoge überraschend gut und hält viele böse Lacher, unangenehme Wahrheiten und brutale Tiefschläge bereit. Kein Wohlfühl-Film, aber einer, der noch sehr lange nachwirkt und sehr gut in unsere heutige Zeit passt.

Note: 2-



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