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Wichtig und richtig: Filmkritik zu Karoline Herfurths "Wunderschön" (2022)

Aus unterschiedlichen Gründen fühlen sich fünf Frauen in ihrem eigenen Selbstbild und durch die Außenwelt nicht mehr wohl. Frauke (Martina Gedeck) ist Ende fünfzig und fühlt sich von ihrem Ehemann Wolfgang (Joachim Krol) nicht mehr gesehen - ihre Versuche, wieder mehr Schwung in die eingeschlafene Beziehung zu bringen, laufen ins Leere. Indes kämpft die vierundzwanzigjährige Julie (Emilia Schüle) mit ihrer Modelkarriere und den enormen Anforderungen, die sie deswegen an ihren Körper, ihre Seele und ihr ganzes Selbst stellen muss. Die Schülerin Leyla (Dilara Aylin Ziem) führt derweil einen Kampf gegen ihr eigenes Selbstbewusstsein, aber auch gegen ihre herrische Mutter (Melika Foroutan). Und Mutter Sonja (Karoline Herfurth) ist unzufrieden, da sie aufgrund zweier Kinder ihr gesamtes Berufs- und Privatleben aufgeben musste, während ihr Mann Milan (Friedrich Mücke) ständig arbeitet. Von ihrer Freundin Vicky (Nora Tschirner) erhält Sonja wohlgemeinte, aber in dieser Form nicht unbedingt zielgerichtete Ratschläge, denn diese ist ohnehin davon überzeugt, dass das Single-Dasein viel besser ist und ein Beziehungskonstrukt ohnehin nicht funktionieren kann...

In ihrem mittlerweile dritten Film führt Regisseurin Karoline Herfurth fünf zu Beginn noch größtenteils voneinander losgelöste Geschichten von fünf sehr unterschiedlichen Frauen an. Dabei ist es erst einmal erstaunlich, dass alle fünf zentralen Plots dabei von annähernd gleicher Qualität sind - keine Geschichte fällt ab oder hebt sich heraus, da die Autor*innen für jede von ihnen clevere Kniffe finden, um diese relevant zu machen und nicht zu sehr in Kitsch abzudriften. Sicher, die Konflikte, die hier angeführt werden, sind nicht neu und werden in den Medien seit vielen Jahren emotional geführt. Doch wie Herfurth und ihr Team diese nun kraftvoll, aber auch mit einem schelmischen Augenzwinkern erzählen, hat einen ganz neuen Drive, der zu gleichen Teilen feministisch, aufbauend, niederschmetternd und romantisch wirkt. Gerade die zu Beginn noch recht typisch erzählten Geschichte über eine gestresste Mutter und eine sich in einen gutaussehenden Sportler verliebende Schülerin bekommen im späteren Verlauf noch ein paar recht feine Kniffe zugestanden. So lässt sich zwar nicht übersehen, dass hier ab und an doch etwas zu glimpflich auf einen friedvollen Ausgang zugelaufen wird (gerade bei dem Thema einer Klassengemeinschaft, die viel zu wenig auf mögliche Konflikte eingeht), aber das Herz wird mit solch selbstbewussten Geschichten doch sehr treffsicher angesprochen.
Die vielleicht stärkste, weil in dieser Form auch erschreckendste und dramatischste Geschichte gehört dem Fotomodell Julie. Hier schlägt sich auch ein interessanter Bogen zu den anderen Storys, wenn aufgezeigt wird, dass so gut wie nichts, was wir von außen sehen können, wirklich wahr ist. Wenn Julie in einer Instagram-Story ein Crossaint isst, welches sie nach dem Beenden des Videos sofort in den Ausfluss spuckt, um ihrem Körper nicht zu "schaden", ist das ein bockstarkes und leider sehr realistisches Bild einer Gesellschaft, die stets so aussehen und sein möchte, wie es uns die Medien vorgeben. Dass Schönheit aber nichts mit einem perfekten Körper zutun hat, wird hier immer wieder thematisiert - auch in der Geschichte von Mutter Sonja, die ihren eigenen Körper nach der Schwangerschaft kaum noch ansehen mag und erst lernen muss, auch diese Makel zu akzeptieren. Mehr als erstaunlich ist auch, dass Herfurth auch die Geschichten der begleitenden Männer sehr passend einbringt. So dürfen diese ebenfalls dramaturgisch passend eingreifen, Lehren ziehen und aus ihren Fehlern lernen. Das führt zu einigen herzzerreißenden Momenten, die gemeinhin etwas simpel wirken können, aber dennoch kraftvoll erzählt sind.
Das Casting von Daniela Tolkien ist dann das entscheidende Salz in der Suppe, denn der gesamte Cast harmoniert einfach prächtig miteinander. Dass "Keinohrhasen"-Star Nora Tschirner mit etlichen flotten Sprüchen auf den Lippen für den Humoranteil einige echte Knaller liefert, überrascht nicht, macht aber dennoch unglaublich Laune - gerade im Zusammenspiel mit Herfurth kommen hierbei einige grandiose Dialoge herum und "Wunderschön" findet abseits des Dramas auch einen aktuell-frechen Ton, der aber niemals zu prätentiös wird. Bockstark aber natürlich (und wie immer) auch Emilia Schüle, die im Kampf mit ihrem eigenen Körper, aber auch den Anordnungen ihres Jobs förmlich ihre Seele offenlegt und im Zusammenspiel mit einer weitaus jüngeren Spielpartnerin einige Leistungen aufs Parkett legt, die locker zum Besten gehören, was Schüle je gemacht hat. Und auch Martina Gedeck hat sich eine Extra-Betonung verdient, denn ihrem verhältnismäßig ruhigen, deswegen aber auch sehr einfühlsamen Plot beherrscht diese jede Szene mit einer großartigen Ausstrahlung, ohne dabei seltsam zu überzeichnen - dank ihr bleibt die gesamte Geschichte bodenständig. Ohne diesen großartigen Cast wäre "Wunderschön" vielleicht auch weiterhin noch ein starker und wichtiger Film geworden, hätte aber auch viel von seinem Esprit, seiner mutigen Lockerheit und seiner Kraft eingebüßt, die erst dann so richtig zum Tragen kommen, wenn die Schauspielerinnen gezielt aufeinander losgelassen werden und sich die Bälle zuspielen können.

Fazit: Starker Ensemblefilm mit wichtigen Themen, mutig und oftmals angenehm locker erzählt und mit einem bockstarken Cast, der sowohl die Humorfarben als auch die inneren und äußeren Dramen hervorragend interpretiert. Dass einige der Geschichten letztendlich etwas zu naiv und simpel aufgelöst werden, fällt hinterher nur noch wenig ins Gewicht.

Note: 2



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