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Der Abstieg der Byrdes: Serienkritik zur vierten Staffel von "Ozark"

Die Positionen haben sich verschoben, der Sieg scheint greifbar und doch ist die Gefahr für die Familie Byrde noch größer als je zuvor. Sie befinden sich nun in der nur äußerlich sehr angenehmen Position, für das Kartell rund um Anführer Omar Navarro (Felix Solis) so wichtig zu sein, dass er ihnen noch mehr Vertrauensvorschüsse vorgibt - doch ein einziger Fehler in dem wahnwitzigen Geflecht aus Lügen, Kriminalität und moralischen Abgründen könnte sowohl Marty (Jason Bateman) und Wendy (Laura Linney) als auch ihre Kinder Charlotte (Sofia Hublitz) und Jonah (Skylar Gaertner) in den Lauf einer Pistole blicken lassen. Und als wäre dem noch nicht genug, heftet sich mit Mel Sattem (Adam Rothenberg) auch noch ein Privatdetektiv an die Fersen der Byrdes, der wegen des plötzlichen Verschwindends von Wendys Bruder Ben (Tom Pelphrey) ermittelt... und Omar entsendet seinen Neffen Javi (Alfonso Herrera), der die Geschäfte der Byrdes mit Argusaugen überwachen soll.

Es gibt einen Punkt in dieser vierten und letzten Staffel des Netflix-Hits "Ozark", an welchem ich als Zuschauer nicht mal mehr ansatzweise wusste, wie diese Serie nun noch weitergehen soll - und da befand ich mich während der Sichtung erst kurz über der Halbzeit. Ein Zeichen dafür, wie genial diese Serie über weite Strecken immer noch geschrieben ist, wenn sie die Erwartungen des Publikums ad absurdum führt und dabei mit Haken und Wendungen aufwartet, die es einem unmöglich machen zu erraten, wie die Macher das alles denn noch weiter- und schließlich auch zu Ende führen. Bis es zu diesen wahnsinnigen Szenen kommt, in denen die Hochspannung kaum aushaltbar ist und die Autoren Grenzerfahrungen fordern, in denen wir so arg mit den mittlerweile ins Herz geschlossenen Figuren mitfiebern, dauert es diesmal jedoch erstaunlich lange. Denn während den ersten Folgen scheint es beinahe so, als würden die Macher die enorme Steilvorlage durch den Cliffhanger der dritten Staffel nicht nutzen wollen - erstaunlich langsam und sich im Kreise drehend kommt der Startschuss der finalen Season daher und macht dabei Konflikte und Plots auf, die in ihrer Elektrizität nicht mit den vorherigen Kernelementen mithalten können und fast schon ein wenig bieder wirken.
Doch diese Langsamkeit zu Beginn zahlt sich später mehr als aus, wenn die Autoren ihre gelegten Brotkrumen mit aller Gewalt eskalieren lassen - im Mittelteil der Staffel kommt es gleich zu mehreren schmerzhaften und adrenalintreibenden Höhepunkten, die nicht nur auf einer inszenatorischen, sondern auch auf einer emotionalen Ebene wahnsinnig packend geraten. Hier spürt man so richtig, dass wir uns im Schlusskapitel einer sehr guten Serie befinden: "Ozark" löst Versprechungen ein, tritt noch einmal richtig aufs Gas und sorgt mit einer ständig brodelnden Grundatmosphäre für ein gewaltiges Knistern, dem gleich mehrere Explosionen folgen. Auf dem Höhepunkt der Staffel ist man auch als Zuschauer irgendwann fix und fertig, denn selbst wenn man natürlich ahnte, dass diese noch einige Tiefschläge bereithalten würde, ist man für diese Art der Eskalation kaum vorbereitet.
Leider gerät "Ozark" aber im Anschluss daran und gerade in den Momenten, in denen sie noch ein letztes Mal wirklich aufdrehen sollten, mächtig aus den Fugen. Das ständige Austricksen der Dramaturgie mit ihren überraschenden Wendungen und beendeten Storylines fordert gegen Ende ihren Tribut, wenn man sich ausgerechnet in den finalen Folgen deutlich mehr auf die ungeliebteren Handlungselemente stützen muss, die dann noch übrigbleiben. Die letzten Episoden sind im direkten Vergleich schon eine eher träge Angelegenheit, die so wirken, als wäre das große Finale bereits im Mittelteil vonstatten gegangen und nun würde noch ein Epilog über mehrere Folgen nahen. Das gipfelt dann in einem tatsächlich mehr als enttäuschendem Staffelfinale, welches nicht nur ziemlich gefühllos, sondern auch provokant offen daherkommt und daher viele Zuschauer*innen brüskieren dürfte, die einen wirklichen Abschied von der Serie wünschten. So wird man doch etwas arg im Regen stehen gelassen, was vielleicht so gewollt ist, aber letztendlich ziemlich unbefriedigend ist. Geblieben ist jedoch eine bärenstarke Inszenierung über jegliche Episoden hinweg und ein phänomenaler Cast, der bis in die kleinsten Nebenrollen überzeugt. Insbesondere Julia Garner darf in der finalen Staffel noch einmal richtig auftrumpfen und beweist sich zum wiederholten Male als das schlagende Herz einer Show, die immer gut war, um auf den letzten Metern plötzlich ordentlich Federn zu lassen.

Fazit: Die finale Staffel beginnt (zu) langsam, um dann plötzlich zu einem Höhepunkt zu rauschen, der einem Hören und Sehen vergessen lässt. Dies führt aber trotzdem zu einem reichlich merkwürdigen, kühlen und unbefriedigenden Ausgang einer ehemals wirklich starken Serie, die dabei auch an ihren eigenen, hohen Erwartungen zu versagen scheint. Schade drum.

Note: 3





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