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Dieser Preis ist zu hoch: Serienkritik zu Marvel's "She-Hulk: Die Anwältin"

Jennifer Walters (Tatiana Maslany) arbeitet als Anwältin in New York. Als sie eines Tages mit ihrem Cousin Bruce Banner (Mark Ruffalo) im Auto unterwegs ist, geschieht ein Unfall, bei welchem das Blut des "Hulks" in Jennifers Kreislauf gelangt. Kurz darauf verwandelt auch sie sich in ein hulkartiges Ungetüm. Bruce greift an und beschließt, seine Cousine als Superheldin auszubilden - doch die hat eigentlich keine Lust auf ein Leben als "Avenger" und möchte möglichst schnell in ihren Job zurückkehren. Als sie dort plötzlich ihre grüne Seite hervorrufen muss, um während eines Plädoyers einen Bösewicht auszuschalten, bekommt sie die Chance, als Staranwältin Karriere zu machen... in einer Kanzlei, die sich mit Superhelden auseinandersetzt.

Das Marvel Cinematic Universe erweist sich in seiner enorm unsteten vierten Phase weiterhin als krude Wundertüte, bei welcher man praktisch nie weiß, was die Macher rund um Mastermind Kevin Feige als nächstes aus dem Hut zaubern. Und mit einer ersten, reinen Comedy-Serie, die sich zudem auch noch als Anwaltsshow versteht, liefert man hier nun tatsächlich wieder etwas, was man so aus diesem Franchise noch nicht kennt... und wonach man ehrlicherweise auch nie gefragt hat. Trotz aller Skepsis konnte ich mir jedoch zumindest während den ersten fünf Folgen nicht helfen: "She-Hulk" hat über weite Strecken einfach Spaß gemacht, ein Sammelsurium aus verrückten Ideen, charmante Charaktere und ein hohes Tempo zu bieten und stellt mit "Orphan Black"-Star Tatiana Maslany eine charismatische neue Hauptdarstellerin vor, die ich gerne in baldigen Team-Ups wiedersehen würde. Natürlich sollte man die ganze Nummer keinesfalls ernstnehmen und man entfernt sich somit sehr weit von den weitestgehend seriösen Mega-Spektakeln des MCU... aber wie gesagt, aufgrund des neuen Tonfalls wirkt die Nummer dennoch ziemlich frisch.
Allerdings erkauft sich "She-Hulk" diese anfängliche Freude für einen sehr, sehr hohen Preis, der gleich auf das ganze Marvel Cinematic Universe (oder zumindest auf prägnante Teile davon) zurückzufallen droht. Treffsichere Gags und kreative, inszenatorische Ideen funktionieren nämlich nur deshalb, weil das Kreativteam mittlerweile keine Rücksicht mehr auf ihr vorheriges Schaffen nimmt. Die Freude über viele bekannte Gesichter hält daher nur kurz an, da diese (dem Ton der Serie entsprechend) vollkommen der Lächerlichkeit preisgegeben werden... obwohl sie zuvor als durchweg ernstzunehmende Charaktere eingeführt wurden. Der vollkommen anders geartete Tonfall beißt sich daher mit dem großen Franchise als Ganzes und macht nur dann zeitweise Spaß, wenn man diese Querverbindung außer Acht lässt. Als Teil eines großen Ganzen fällt "She-Hulk" nämlich vollends hintenüber und reizt die Grenzen der Über-Comedy in einem vollkommen wahnwitzigen Finale soweit aus, dass man völlig überflutet wird. Das mag durchaus kreativ sein, überzeichnet aber auch zu arg und macht diese Serie somit zu ihrer eigenen Parodie.
Vielleicht will man durch all diese kleinen Spielchen aber auch das Storytelling verstecken, über welches man sich hier gleich selbst lustig macht. Rein dramaturgisch macht die Show zwar bis zu einem gewissen Grad Spaß, wenn wirklich die Titelheldin und das Jonglieren mit zwei Identitäten im Fokus steht. Sobald eine wirkliche Geschichte erzählt werden und gar ein großer Bösewicht eingeführt werden soll, verzettelt man sich jedoch so arg in vollkommen albernem Gaga-Kram, dass man trotz der Durchbrechung der vierten Wand, die die ganze Nummer als "ironisch" darbieten soll, keinerlei Spaß mehr an dieser Denunzierung solch ehemals toller Charaktere hat. Natürlich, das MCU muss sich auch weiterentwickeln, dabei aber auch zumindest eine Art von Restwürde bewahren - und "She-Hulk" überspannt den Bogen in einer tonal ohnehin völlig unentschlossenen vierten Phase bis zum Äußersten. Als eine von vielen Helden könnte Hulks Cousine zukünftig zwar immer noch eine gute Figur machen, auf ihre Origin-Story wird man, trotz einiger wirklich schöner Ansätze und einem grundsätzlich sehr respektablen, feministischen Grundton, jedoch mit gemischten Gefühlen zurückblicken.
Gemischte Gefühle sind auch involviert, wenn wir abschließend über die Technik sprechen müssen, denn schon die ersten Trailer ließen bezüglich der visuellen Effekte Schlimmes befürchten. Und tatsächlich ist besonders die Erschaffung der Titelheldin auf computertechnischer Hinsicht ein echter Graus geworden - matschige Details, eine streckenweise vollkommen wirre Mimik und schwammige Pyhsik machen hier wirklich keinen Spaß. Das verwundert insofern, da die Show darüber hinaus durchaus gute Effekte aufweist: Sieht man sich beispielsweise den männlichen und den weiblichen Hulk in ihren gemeinsamen Szenen an, so sieht Ruffalo's grüner Riese durchaus überzeugend aus, während Maslany's Titelheldin dagegen aussieht, als wäre der Computer beim Rendern mehrmals abgeschmiert. Als hätten sie den Fokus nicht auf die Titelheldin legen wollen und wären dabei zu faul gewesen, muss man nun mit einem digital fast unansehnlichen Hauptcharakter zurechtkommen, der zudem wahnsinnig viel Screentime auf sich vereint. Das macht "She-Hulk" zum bislang optisch hässlichsten Eintrag des ganzen MCU, auch wenn sich immer wieder ein paar feine Actionszenen darin finden lassen, die mit den großen Kinoabenteuern zumindest ansatzweise mithalten können, wenn es um die Finesse der Tricktechnik geht.

Fazit: "She-Hulk" führt eine neue, charismatische Heldin in einer feministisch getragenen, spaßigen und durchaus kreativen neuen Show ins MCU ein, erkauft sich diesen frischen Ton jedoch durch allerlei unwürdigen Gaga-Humor, ein katastrophales Storytelling sowie eine matschige Technik. Trotz einiger sehr netter Ansätze sinkt dieses Schiff daher schnell und reißt dabei gleich noch ein paar herbe Kerben ins gebeutelte Franchise, die Schlimmes für die Zukunft befürchten lassen.

Note: 4+



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