In den 1920ern hat Nellie LaRoy (Margot Robbie) nur einen Traum: Sie möchte der nächste, große Filmstar Hollywoods werden. Ein Traum, den sie sich zumindest ansatzweise mit Manny Torres (Diego Calva) teilt, den sie auf einer ausladenden Promi-Feier kennenlernt, in welche Nellie sich zuvor hineingeschmuggelt hat: Manny möchte unbedingt an einem Filmset arbeiten und dort die Magie des Kinos spüren. Für beide ist die Chance nah, denn Nellie wird auf der Party zufällig von einem Filmproduzenten entdeckt, der sie für eine wichtige Szene am nächsten Drehtag verpflichtet, während Manny die Bekanntschaft mit dem Stummfilm-Star Jack Conrad (Brad Pitt) macht, der diesen gleich als seinen Laufburschen anheuert. Sowohl Manny als auch Nellie müssen jedoch bald erkennen, dass das Business auch ihre Schattenseiten hat... vor allem, als der Tonfilm in Hollywood zum Leben erwacht.
Nach drei absoluten Mega-Hits, die allesamt wichtige Rollen bei den vergangenen Oscar-Verleihungen spielten, hatte "La La Land"-Regisseur Damien Chazelle praktisch Narrenfreiheit in der Traumfabrik - ein anderer hätte wohl kaum einen dreistündigen, äußerst freizügigen Film über die Stummfilmära Hollywoods abliefern dürfen. Und dass Chazelle hier keinerlei Ketten angelegt wurden, merkt man, denn schon nach wenigen Minuten scheinen alle Zügel losgelassen: Er inszeniert Hollywood in seiner pubertären Improvisations-Phase als eben den ekstatischen Rausch, den der deutsche Titelverleih (diesmal durchaus passend) hinzugefügt hat. Und wer Chazelles Arbeiten kennt, der weiß, dass das unter seiner Regie nur ein großes Fest sein kann. Sein schlichtweg unnachahmliches Gespür für Tempo und Rhytmus lässt sich auch von einer Laufzeit von 188 Minuten, die sich praktisch nie so anfühlen, nicht kleinkriegen. Einige prägnante Szenen sind so dermaßen schwungvoll inszeniert, dass das Gefühl echter Kinomagie so greifbar wird wie bei nur wenigen Filmen der letzten Jahre. Ob nun eine riesige Party inklusive eines wildgewordenen Elefanten (!) oder ein Ausflug auf ein riesiges Filmset, bei dem an etlichen Baustellen hunderte Menschen verschiedene Aufgaben vollführen - in diesen Momenten ist "Babylon" ein grandioses Wimmelbild voller Anspielungen, großartigen Humors und ganz viel Herz fürs Detail.
Doch irgendwann muss er natürlich auch eine Geschichte erzählen, die über diesen unvergleichlichen Style hinausgeht. Dafür hat sich Chazelle in der ersten Stunde seines Films, die im Grunde wirklich einem einzigen Rausch gleicht, schon einige wunderbare Charaktere herausgepickt, denen wir in der Folge nicht nur bei weiteren Eskapaden, sondern auch bei einigen emotionalen Hürden zusehen. Ab und zu springt "Babylon" dabei etwas unentschlossen zwischen den einzelnen, oft nur marginal miteinander zusammenhängenden Episoden hin und her. Dabei zeigt sich, dass selbst die Nebenfiguren schon genug Stoff geboten hätten, um einen eigenen Film zu tragen, was aber auch ein wenig die Krux ist - da Chazelle so viele spannende Charaktere hat, bleiben einige zwangsläufig ein wenig auf der Strecke und nicht alle Plots können so atmen, wie sie es tun sollten. Große Momente haben sie doch alle, sodass jeder Charakter angenehm ambivalent gezeichnet ist. Und der hier aufgefahrene Cast macht seine Sache ohnehin brillant, wobei man "Once Upon A Time in Hollywood"-Star Margot Robbie dringend gesondert hervorheben muss - was sie als vollkommen wahnsinnige und wilde Nellie LaRoy in jeder ihrer Szenen abzieht, ist in jeder Faser ihres künstlerischen Seins nur noch gewaltig. Und dass Brad Pitt die Rolle eines leicht abgehalfterten Stars, der aber auch für seine eigene Kunst lebt und atmet, großartig ausfüllen würde, daran bestand vorab wohl ohnehin kein Zweifel und dementsprechend liefert der hier dann auch ab.
Erst in der letzten Stunde verliert Chazelle dann jedoch den Faden und es wird immer deutlicher, dass ihm einer der Produzenten womöglich doch mal auf die Finger hätte hauen müssen. Gerade eine tonal völlig losgelöste Episode, bei der sich sogar bei kruden Splatter-Elementen bedient wird und die in einen düsteren Thriller führt, hätte in dieser Form wirklich nicht sein müssen und steht in krassem, unpassendem Kontrast zum zwar auch düsteren, aber auch herzlicheren, lustigeren und intelligenteren Teil des Films. Der zuvor noch wunderbar trocken vorgetragene Humor, der in vielen Szenen ein meisterhaftes Timing hervorbringt und für zahlreiche Lacher sorgt, geht dabei fast vollkommen in nur noch irrsinnigen und arg überzeichneten Szenen verloren. Überzeichnet hat Chazelle zwar auch schon zuvor deutlich, hat dabei aber niemals seine Charaktere und ihre Leiden und Freuden aus den Augen verloren oder zumindest einfach den Spaß an einer richtigen Sause gehabt. Der deprimierende und in dieser Form recht unentschlossene Endteil mag dazu dann nicht wirklich passen und ist auch nicht wirklich überzeugend geschrieben. Es ist also hin und wieder etwas viel Stückwerk, was "Babylon" über drei Stunden nicht immer passend zusammengepuzzelt bekommt... faszinierend, energiegeladen und auch sehr, sehr anziehend bleibt der Film aber dennoch durchweg.
Fazit: "Babylon" mag in seiner letzten Stunde zu arg in diffusen Überzeichnungen schwelgen, hat zuvor aber mit grandios gespielten und ambivalent-durchgeknallten Figuren, einem Händchen für Schwung, Tempo und Witz sowie zahlreichen Anspielungen auf die Geschichte des Stumm- und Tonfilms wahnsinnig viel von dem zu bieten, was Hollywood auszeichnen sollte: Kinomagie.
Note: 2-
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