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Einmal ganz leise bitte: Filmkritik zu "Still" (2016)

Die Autorin Maddie Young (Kate Siegel) hat im Alter von 13 Jahren ihren Gehörsinn und durch eine nachfolgende Operation auch die Fähigkeit des Sprechens verloren. Heute arbeitet sie frustriert an ihrem neuen Buch, zu welches ihr jedoch kein passender Schluss einfallen möchte. Dieses Problem kommt ihr jedoch alsbald ziemlich klein vor, als des Nachts ein mit einer Armbrust bewaffneter Eindringling (John Gallagher Jr.) versucht, sich Zugang zu ihrem Haus zu verschaffen. Maddie scheint dem Mann hilflos ausgeliefert zu sein, denn der hat nicht vor, sie einfach zu ermorden - er will sie stattdessen seelisch brechen, bevor er sich, wie er ihr klar zu verstehen gibt, problemlos Zugang zum Haus verschaffen wird. Doch Maddie gibt nicht klein bei und nimmt den Kampf gegen den Einbrecher auf...

An und für sich ist das eine feine Idee: Die Hauptfigur des Films dem Sinn des Hörens zu berauben, der in einem Horrorstreifen wie diesem wohl wirklich wichtiger ist als alles andere. Denn so kann sich der (hier arg profillose) Bösewicht noch viel leichter an sein Opfer heranschleichen - durch Maddies Behinderung weiß das Publikum oftmals schon viel eher, dass die nächste Gefahr droht, da sie diese nicht hören kann. Letztendlich ist das aber auch die einzige originelle Idee, auf der "Still" herumreitet... und dabei nutzt er diese gar nicht mal so sehr. Viele Spannungsspitzen entstehen weniger durch den Einfall einer taubstummen und somit auf dem Papier deutlich "schwächeren" Hauptperson, sondern durch die üblichen Klischees des Genres. Und das macht aus dem Film dann doch einen ziemlich typischen Home-Invasion-Thriller, der zu weiten Teilen aus den üblichen Szenen des Versteckens, Kämpfens und Weglaufens besteht.
Diese Szenen sind dafür aber oftmals sehr fein inszeniert: Mike Flanagan, der für Netflix die Hit-Serie "Spuk in Hill House" erschuf und sich zudem mit "Ouija: Ursprung des Bösen" sowie dem "Shining"-Sequel "Doctor Sleeps Erwachen" seine Sporen im Horror-Kino verdiente, weiß schon ziemlich genau, wie er mit simplen Mitteln ein Maximum an Spannung aufbauen kann. Das ist zwar alles nicht neu und bisweilen nutzt er die Klischees des Genres etwas zu arg aus - so war ich beim dritten Mal, während welchem Maddie die echte Chance auf einen finalen Schlag hatte, aber den Bösewicht doch lieber nur verwundete statt ihm die Lichter auszupusten, nicht mehr gebannt, sondern nur noch genervt. An anderen Stellen stimmt der Spannungsaufbau jedoch: Das Erreichen eines potenziellen Handys durch ein höher gelegenes Fenster ist eine ebenso einfache wie bereits oft gesehene Szene, wird durch einen feinen Aufbau und die kluge Inszenierung Flanagans aber wirklich zu Spannungskino, bei dem man die Finger in der Sitzlehne vergräbt.
Flanagans Ehefrau Kate Siegel, die in so ziemlich jedem seiner Projekte involviert ist, kann einen Film wie diesen gut tragen - vor allem, da sie hier auch noch ihrer Stimme beraubt ist, was für eine Schauspielerin, die im wahren Leben nicht taubstumm ist, doch noch einmal eine andere Art der Herausforderung darstellen dürfte. Nicht immer agiert Siegel jedoch glaubwürdig: Etwas weniger schockiertes Augenaufreißen wäre gerade in der atmosphärisch recht dichten ersten Hälfte schön gewesen. Ihr Filmgegner John Gallagher Jr. leidet hingegen darunter, dass sein namenloser Charakter im Grunde keinen näheren Hintergrund erhält und durch seine oftmals sehr kopflosen Versuche auch selten wirklich bedrohlich wirkt. In vielen Momenten wirkt dieser Killer sogar wie ein verlorenes Kind, welches seinen Überfall sicherlich nicht gut geplant hat und nur durch Glück (oder eben durch einige reichlich dämliche Fehltritte der Hauptheldin) überhaupt mal in die Nähe seines Opfers gelangt. Solcherlei dramaturgische Patzer stören den Spannungsaufbau bisweilen reichlich, weswegen "Still" leider niemals über das Niveau eines gut inszenierten, aber letztlich auch ziemlich standardisierten Home-Invasion-Thrillers hinauskommt, die wir in dieser Form schon sehr oft gesehen haben.

Fazit: "Still" ist in einigen Spannungsspitzen sehr stark inszeniert und kann eine recht dichte Atmosphäre aufbauen, verlässt sich in entscheidenden Momenten aber viel zu oft auf nervige Klischees und die typischen, altbekannten Muster des Genres.

Note: 3-



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