Direkt zum Hauptbereich

The Walk

Am siebten August 1974 balancierte der französische Drahtseilkünstler Philippe Petit zwischen den beiden Zwillingstürmen des World Trade Centers. Fünfundvierzig Minuten lang. Was klingt wie eine obskure Fantasie ist tatsächlich eine wahre Geschichte, welche bereits in der Dokumentation "Man on Wire" den Weg in die Filmgeschichte fand. 2015 brachte Regisseur Robert Zemeckis die unglaubliche Story dann als Spielfilm in die Kinos... und erschafft dabei einige der faszinierendsten Bilder des vergangenen Kinojahres.

THE WALK


Philippe Petit (Joseph Gordon-Levitt) verdient sich sein weniges Geld in seiner Heimat Paris als Dreitsahlkünstler. Dort lernt er die junge Musikerin Annie Allix (Charlotte Le Bon) kennen... und entwickelt wenig später einen waghalsigen Plan. Als sein größtes Schaffen möchte er nach New York reisen, dort ein Drahtseil zwischen den beiden Türmen des World Trade Centers spannen und darauf laufen. Viele halten ihn für größenwahnsinnig, doch Petit hält an seinem Traum fest und macht sich mit einigen Freunden auf nach Amerika, um sich nach langen Vorbereitungen auf das Dach des gigantischen Turmes zu begeben...

Eine solche Geschichte ist fürs Kino, in welchem es mittlerweile für das Erschaffen von Bildern keine Grenzen mehr zu geben scheint, natürlich wie gemacht. Regisseur Robert Zemeckis macht es sich dabei dann aber nicht ganz so leicht und verweigert sich auch immer wieder konsequent dem 08/15 des Popcorn-Kinos. Ganz deutlich wird dies in der Hauptfigur, denn diese ist im Grunde nicht der typische, sympathische Held. Eigentlich ist Philippe Petit sogar ein ziemlicher Mistkerl, ein Egomane, ein schwer zu greifender Problemmensch, der sich wenig um andere Menschen schert und nur an sich und seinen Traum denkt. Man muss diesen Kerl auch nicht unbedingt mögen, aber er ist dennoch eine faszinierende Persönlichkeit, der wir sehr gerne durch den Film folgen, was an seinem unbrechbaren Willen, seinem Mut und auch irgendwie seiner störrischen Arroganz liegt, welche die Figur so schillernd macht. Dass Petit auf uns so beeindruckend wirkt, ist natürlich auch Joseph Gordon-Levitt zu verdanken, der mit einer grandiosen Meisterleistung den berühmten Künstler mimt und ihn dabei mit allerlei charismatischen Details ausstattet, sich einen französischen Akzent zulegte und sogar von dem realen Vorbild Drahtseillaufen lernte. Neben dieser absolut beeindruckenden Performance schafft es Zemeckis auch noch, die wahre Geschichte mit so viel Liebe zum Detail zum Leben zu erwecken, dass man nur den Hut ziehen kann. All die Vorbereitungen, die Hindernisse, die Beziehungen zu Petits sehr sympathischen Mithelfern... Zemeckis fliegt über kein Detail hinweg und bringt die Geschichte auch in kleinsten Ecken so auf die Leinwand bzw. den Bildschirm, wie es sich wirklich zugetragen hat, ohne dabei etwas zu verschönern. Er lässt sich genügend Zeit, um Petits Traum klar werden zu lassen, um die Charaktere zu etablieren und natürlich den ganz großen Coup, der hier als Finale steht, akribisch durchzuplanen, was auch immer wieder komödiantisch und locker-leicht gelingt. Und die zweite Stunde des Werks ist dann Spannungskino auf allerhöchstem Niveau. Wenn Petit und seine Verbündeten in das World Trade Center eindringen und dabei immer wieder mit höchst ärgerlichen Hindernissen konfrontiert werden, da halten wir dann schon mal den Atem an. Auch wenn wir wissen, wie das Ganze ausgeht, Zemeckis inszeniert diese Szenen so spannend und atemlos, dass wir vollkommen gefesselt sind. Und auch das ganz große Finale, wenn Gordon-Levitt endlich das gespannte Drahtseil betritt, ist von ganz großer Qualität. Die beinahe unsichtbaren visuellen Effekte, die meisterhafte Kameraarbeit von Dariusz Wolski, untermalt mit dem wunderbaren Soundtrack von Alan Silvestri lassen uns die Fingernägel abknabbern und die intensive Spannung in höchste Höhen treiben, bis zum Schwindelgefühl angesichts der unmenschlichen Höhen. Zemeckis findet hier in allen Bereichen genau den richtigen Ton und lässt seinen Film mit großen Emotionen zu Ende laufen. Ab und an verliert er sich dabei zwar ein wenig in etwas dick aufgetragenen Kitsch und auch das Voice Over, in welchem Petit uns seine Geschichte nochmals erzählt, hätte nicht ganz so häufig eingesetzt werden müssen, da es viele Details unnötigerweise wiederholt. Doch ansonsten gibt es hier so gut wie nichts zu mäkeln. "The Walk" ist ein charismatischer, fantastisch gespielter, wundervoll bebilderter, intensiver und hochspannender Drahtseilakt mit Witz, Tiefe und visueller Brillanz. Da verzeihe ich auch gern mal den ein oder anderen etwas unpraktischen Kitsch-Moment.

Note: 2

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Eddie the Eagle - Alles ist möglich

"Das wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Das wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf." Dieses Zitat, welches den Film "Eddie the Eagle" abschließt, stammt von Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele. Und es bringt den Kern der Geschichte, die in diesem Film erzählt wird, sehr gut auf den Punkt, denn um den Sieg geht es hier eigentlich nicht oder zumindest nicht sehr lange. Aber es wird gekämpft und das obwohl niemand dieses seltsame Gespann aus Trainer und Sportler wirklich ernstnehmen wollte - genau das ist das Herz dieses Biopics, welches viele Schwächen, aber zum Glück auch viel Herz hat... EDDIE THE EAGLE Für Michael Edwards (Taron Egerton) gibt es trotz einer bleibenden Knieverletzung nur einen Traum: Er will in einer Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Schon in seiner Kindheit scheitert er beim Hammerwerfen und Luftanhalten und landet schließlich, sehr...

Meine Erstsichtungen vom 08.07.24 bis zum 14.07.24

Girl You Know It's True: Musiker-Biopic von Simon Verhoeven, mit Tijan Njie, Elan Ben Ali, Matthias Schweighöfer, Bella Dayne, Mitsou Young und Graham Rogers Dem Film über das umstrittene Musik-Duo Milli Vanilli gelingt das Kunststück, einerseits ungemein unterhaltsam zu sein und andererseits einen der größten Skandale der Musikgeschichte zu erzählen, ohne ihn großartig auszuschlachten. Stattdessen gibt der Film den beiden verrufenen Künstlern ihre Würde zurück, indem er die Hintergründe des Aufstiegs und Falls der beiden Ikonen genau dezidiert und dabei nicht wütend mit dem Finger auf einen bestimmten Schuldigen zeigt - das ist dann auch für Kenner noch hochinteressant, bisweilen spannend und mit einigen emotionalen Tiefschlägen ausgestattet. Trotz einiger Längen hält Simon Verhoevens Regie den Film durchweg am Leben, die Musikszenen sind energetisch inszeniert. Zudem wissen nicht nur Tijan Njie und Elan Ben Ali in den Hauptrollen durchweg zu überzeugen, sondern auch Matthias Schw...

Cold Comes the Night

Die alleinerziehende Mutter Chloe (Alice Eve) leitet ein heruntergekommenes Motel, wo immer wieder zwielichtige Gäste eintrudeln und sogar die örtlichen Prostituierten ein Zimmer nehmen, um sich mit ihren Kunden zu vergnügen. Für Chloes Tochter Sophia (Ursula Parker) ist dies kein geeigneter Wohnort, findet das Jugendamt, und droht deswegen sogar damit, sie Chloe wegzunehmen. Als eines Abends ein mysteriöser Reisender (Bryan Cranston) um ein Zimmer für eine Nacht bittet und sich bereits am Empfang merkwürdig verhält, wird Chloe bereits hellhörig. In der Nacht fallen plötzlich Schüsse und zwei Bewohner der Appartements werden tot aufgefunden. Doch ist dies erst der Beginn einer wahren Tortur, durch welche Chloe in den nächsten Stunden noch wird gehen müssen... Es gibt durchaus einige Filme, bei denen ich mich nachträglich mehr als gewundert habe, warum diese nicht das Licht der Leinwand erblickt haben, sondern direkt für den Heimkinomarkt ausgewertet wurden - noch vor Zeiten von großen ...