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Der Geschmack von Rost und Knochen

Ich war nie ein Fan von französischen Filmen, ich weiß auch gar nicht genau wieso, doch hat mir ein Film zuletzt das Herz erwärmt und mich sogar darin bestärkt, mir mehr Produktionen aus Frankreich anzusehen. Das gefühlvolle Liebesdrama "Blau ist eine warme Farbe" bestach durch seine Unaufgeregtheit, durch seine Sentimentalität zum Thema einer jungen, lesbischen Liebe und durch grandiose Darstellerleistungen. Nun bedeutet das nicht, dass ich mit französischen Filmen plötzlich mehr anfangen, denn diese sind mir zumeist doch etwas zu künstlerisch überhöht, zu engstirnig. Das trifft zumindest zu Teilen auch auf "Der Geschmack von Rost und Knochen" zu, der aber dennoch einige ganz starke Momente hat...

DER GESCHMACK VON ROST UND KNOCHEN


Der Mittzwanziger Ali (Matthias Schoenaerts) ist mit seinem kleinen Sohn Sam (Armant Verdure) nach Antibes zu seiner Schwester Anna (Corinne Masiero) gereist - sie soll ihm bei der Erziehung des Jungen helfen, während Ali einen neuen Job als Türsteher eines Clubs an Land ziehen will. Dabei rettet er die junge Waltrainerin Stephanie (Marion Cotillard) vor einer Prügelei, doch soll es dauern, bis die beiden sich wiedersehen. Stephanie verliert bei einem Unfall beide Beine und als Ali von dem Unglück erfährt und sie wieder Kontakt zu ihm aufnimmt, beginnen beide eine Romanze. Diese wirft das Leben von beiden jedoch schon bald aus der Bahn...

Französische Filme sind unaufgeregter. Das mag für die, deren Sehgewohnheiten sich schon längst an das bombastische Hollywood-Kino angepasst haben, oftmals etwas langatmig wirken und auch ich habe mich bei diesem Werk von Jacques Audiard desöfteren dabei ertappt, wie ich mir wünschte, dass die Geschichte nun doch bitte ein wenig mehr Fahrt erhalten möge. Doch eigentlich ist ja genau das eine willkommene Abwechslung zu kitschigen Nicholas-Sparks-Schmachtfetzen, in denen sich die Protagonisten alle paar Minuten unter verheultem Make-Up und leidenschaftlichen Umarmungen ihre Gefühle gestehen, oder zum Mega-Bombast eines Michael Bay, der jeden Pixel der Leinwand mit gigantomanischen Explosionen vollstopft. 
Bezeichnend dafür ist die Szene, in der Stephanie während eines scheinbar ganz normalen Arbeitstages einen schrecklichen Unfall erleidet - Audiard braucht nur wenige Sekunden, um die Brisanz des Moments greifbar zu machen. Er filmt unter Wasser und lässt Details des grausamen Geschehens außen vor, erreicht damit beim Zuschauer aber eine wesentlich höhere Intensität. Wenn er gleich darauf ins Krankenhaus schneidet und in einem kleinen Moment, als sich Stephanie geschockt aus dem Bett quält, ist auch der Schock beim Zuschauer perfekt. Diese Unaufgeregtheit setzt sich sowohl im Plot als auch in der Inszenierung fort: Konflikte finden statt, doch werden diese meist rasch geklärt. Es braucht keinen aufgeregten Soundtrack, der dem Zuschauer vorbetet, was er genau wann zu fühlen hat - es braucht eine gute Kameraarbeit und starke Darsteller. 
Beides hat der Film sicherlich, dennoch fehlt es dem Plot letztendlich doch an Zug. Man hat oft das Gefühl, dass viele Plotpoints gar nicht so viel Auswirkung auf das große Ganze haben, die Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren wirken menschlich und echt, plätschern dahingehend aber auch recht ziellos dahin. Vielleicht lag das auch an Hauptcharakter Ali, mit dem ich generell wenig anfangen konnte. Sicher, Audiard wollte einen amoralischen "Helden" erschaffen, trotzdem wurde er immer wieder in prägnanten Momenten plötzlich zu einem solch extremen Arschloch, dass die Sympathien schnell schwanden. Momente, in denen er seinen Sohn mit einem Gartenschlauch abspritzt, bis dieser schrecklich weint, beißen sich mit anderen Szenen, in denen Ali absolut zuvorkommend agiert - richtig schlau bin ich aus diesem Mann nicht geworden und fand in der Rolle der Stephanie wesentlich mehr, woran ich mich festhalten konnte. 
Schauspielerisch leisten beide jedoch großes: Zwar können Matthias Schoenaerts und "Allied"-Star Marion Cotillard nicht verhindern, dass die Liebesbeziehung zwischen den beiden Figuren nie echtes Feuer ausstrahlt (darauf hat es das Skript weniger abgesehen und generell kontrastieren sich die Charaktere auch viel zu arg), bärenstarke Darstellungen liefern sie beide trotzdem. Auch das ist also irgendwie im tiefsten Sinne Schauspielerkino und das auf eine vertrackte Form. Es ist nicht einfach, sich einen klaren Durchblick in die Vision von Jacques Audiard zu verschaffen, der neben der Romantik eben auch noch Ausflüge in Geschäftsskandale, Familienprobleme und Psychologie anstrebt... aber wer mit diesen Werken generell etwas anfangen kann, wird auch hier fündig.

Fazit: Unaufgeregtes Drama, welches nicht alle seine Plots wirklich stimmig zusammenbündeln kann und eine Hauptfigur in den Fokus stellt, an die man sich nur schwer gewöhnt. Über jeden Zweifel erhaben sind hingegen die Darstellerleistungen und die packende Inszenierung von Regisseur Jacques Audiard.

Note: 3




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