Wir Menschen neigen dazu, zu sagen, von allem zu wenig zu haben. Zu wenig Geld, zu wenig Freunde... vor allem aber zu wenig Zeit. Auch ich ertappe mich beinahe täglich bei dem Gedanken, dass ich mit wesentlich mehr Lebenszeit doch so viel mehr erledigen könnte, doch ist es natürlich schwachsinnig, darüber nachzudenken - die Welt ist eben so, wie sie ist und wir sollten mit der Zeit, die wir haben, einfach das Bestmögliche anstellen. Etwas schwieriger hat es ein Großteil der Protagonisten in der Zukunftsversion "In Time", denn denen steht im Grunde nie genug Zeit zur Verfügung... was hier nicht einfach nur stresst, sondern im schlimmsten Fall sogar innerhalb einer ablaufenden Sekunde ein Leben beendet.
IN TIME
In einer nicht näher definierten Zukunft hat Zeit das Geld als Währung ersetzt. Reiche Menschen haben etliche Jahre zur Verfügung, in den Ghettos leben jedoch die Bewohner, die von Tag zu Tag leben... im wahrsten Sinne des Wortes, bezahlen sie Miete, Strom und Essen doch mit Zeit und läuft die Uhr ab, endet auch das Leben. Will Salas (Justin Timberlake) lebt im Ghetto und erhält eines Tages von dem offensichtlich suizidalen Henry Hamilton (Matthew Bomer) hundert Jahre geschenkt, ehe dieser sich dem Freitod hingibt. Will kann sein Glück kaum fassen, muss jedoch auch rasch die Beine unter den Arm nehmen, denn dieser enorme Zeittransfer hat bereits Verbrecher und auch die sogenannten Timekeeper aufgeschreckt, die nun das Gleichgewicht des Systems wieder herstellen wollen und auf die Jagd gehen.
Eine enorm spannende Ausgangssituation und eine recht düstere, im Kern weiterhin komplexe Zukunftsaussicht, die man so auch noch nicht gesehen hat, bietet uns "Lord of War"-Regisseur Andrew Niccol hier an und wir sind gerne bereit, ihm zu folgen. Wenn er uns in den ersten zwanzig Minuten in seiner Welt entführt, durch die Augen von Protagonist Will die Spielregeln ausbreitet und dabei ein beklemmendes Gefühl erzeugt, bei welchem jeder Tag der letzte sein könnte, weil der Kaffee wieder teurer geworden ist und somit wertvolle Lebenszeit kostet, dann ist das ebenso trickreich wie faszinierend. In spannenden Details konzipiert Niccol eine unangenehme Zukunft und schafft eine starke Ausgangslage, aus der dann später jedoch zu wenig gemacht wird.
Sobald nämlich die wahre Handlung beginnt, Fuß zu fassen, schwächelt "In Time" immer weiter und bekommt sich selbst kaum noch in den Griff. Mit einem Mal möchte Niccol viel zu viel: Er will provozieren, indem er Anleihen zur Bankenkritik, zur Sozialpolitik und zu der immer größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich darbietet, diese gezielten Seitenhiebe bleiben jedoch auch beim besten Willen eher schnöde, wirken aufgesetzt und gar ausgelutscht - es ist eben nicht das erste Mal, dass das Thema der sozialen Gerechtigkeit in einer bissigen Zukunftsdystopie seinen Platz findet und es wurde zuvor eben auch schon etliche Male besser angepackt.
Zum anderen möchte er eine spannende Hatz inszenieren, wobei die beiden Protagonisten Will und später auch die von "Gringo"-Star Amanda Seyfried gespielte Sylvia niemals sicher sind. Da wird beinahe ohne Unterlass gerannt, niemals ist genug Zeit da und stets lauert die Rettung dann in der allerletzten Sekunde... dieses klassischen Cliffhangers bedient sich Niccol dabei so oft, dass es mit der Spannung irgendwann doch etwas zu weit her ist und man sich während eines ohnehin eher schwachen Showdowns bereits lange sattgesehen hat. Generell fallen die Actionszenen, über manch eine Autoverfolgungsjagd und ansonsten das ständige Fliehen, Verstecken und wieder Weglaufen nicht ansatzweise so kernig aus, wie es das Thema eigentlich gebraucht hätte, sodass man sich inszenatorisch doch eher im absoluten Mittelmaß bewegt.
Da hilft es wenig, dass Sylvia und Will irgendwann als Gangster mit Herz gegen das System rebellieren und Seite an Seite Rachefeldzüge begehen - es soll cool sein, aber es sieht nicht cool aus. Das könnte auch daran liegen, dass die Chemie zwischen Justin Timberlake und Amanda Seyfried nicht stimmt. Beiden Charakteren wird natürlich noch eine Liebesgeschichte angedichtet, die jedoch schon vom ersten Augenblick an vollkommen gewollt und somit unnatürlich wirkt - die Funken fliegen dabei nicht mal beim gemeinsamen Strippoker-Abend.
So bleibt uns das Skript einiges schuldig, setzt den beiden blassen Protagonisten aber immerhin einen wirkungsvollen Gegenspieler entgegen: "Dunkirk"-Star Cillian Murphy gibt dabei den Anführer der Timekeeper, der verbissen darum kämpft, die beiden Verbrecher zu schnappen, dabei aber selbst immer wieder durchscheinen lässt, dass er eigentlich kein schlechter Mensch ist. Er macht nur seinen Job, möchte das System aufrechterhalten... obwohl er selbst nicht von diesem profitiert. Bei dieser Figur erreicht die Geschichte plötzlich eine Tiefe, der man sich deutlicher hätte widmen können und die ansonsten im Film fehlt.
Fazit: Eine herausragend faszinierende Ausgangssituation verwandelt sich alsbald in einen recht blassen Action-Thriller. Es wird gerannt, geflohen und wieder gerannt und geflohen. Amanda Seyfried und Justin Timberlake bleiben in dieser Hatz blass, die Gesellschaftskritik zerfliegt ziemlich flach in seine Einzelteile. Da bleibt am Ende wenig übrig von einer grandiosen Idee.
Note: 4+
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