Was sind denn das für seltsame Zeiten, in denen der neue Film von Martin Scorsese, der noch dazu mit einer horrenden Starbesetzung und seiner Rückkehr zum Mafia-Epos aufwartet, nicht ins Kino kommt? Tatsächlich erschien "The Irishman" nur bei Netflix, nachdem er in den USA einige Tage in den Kinos lief, um anschließend bei den Oscars mitmischen zu können. Vor zehn Jahren wäre solch ein Film wohl noch einer der größten Hits des Jahres gewesen, heute ist er ein Wagnis. Solcherlei Probleme kennt mittlerweile auch Woody Allen, allerdings ist die Skepsis seitens der Studios da noch wesentlich verständlicher, waren seine letzten Filme doch keine großen Erfolge mehr und begeisterten auch die Kritiker nicht wie früher. Sein 2017 erschienener "Wonder Wheel" schaffte es zwar in die Lichtspielhäuser, trotzdem brauchte er dafür auch die Unterstützung von Amazon... und das, obwohl er doch immer noch der Woody Allen ist!
WONDER WHEEL
In den späten 50er Jahren arbeiten die beiden verheirateten Ginny (Kate Winslet) und Humpty (James Belushi) beide in einem Vergnügungspark, als plötzlich Humptys verstoßene Tochter Carolina (Juno Temple) vor der Tür steht. Sie wird von der Mafia verfolgt, nachdem sie ihren Ehemann, Mitglied der Gruppe, verlassen hat und steht nun auf einer sogenannten Todesliste. Humpty will davon erst nichts wissen, nimmt sie aber schließlich doch in das gemeinsame Haus auf und versucht ihr dabei zu helfen, eine neue Zukunft aufzubauen. Unterdessen beginnt die unglückliche Ginny eine Affäre mit dem dortigen Rettungsschwimmer Mickey (Justin Timberlake), der allerdings auch verzaubert ist, als er plötzlich die verschreckte Carolina trifft...
Viele Kritiker werfen Woody Allen mittlerweile vor, dass er seinen alten Verve verloren hätte, vielleicht gar nichts mehr zu erzählen hat. Das ist in dieser Hinsicht aber eigentlich nicht ganz korrekt, denn Allen erzählte schon immer zutiefst menschliche, beinahe alltägliche Geschichten, die uns alle etwas angehen können... und diese gehen einem niemals aus. Es ist nur die Frage, ob Allen nun nicht irgendwann den Faden verloren hat und sich dementsprechend wiederholt und diese Frage stellte ich mir auch bei der Sichtung von "Wonder Wheel". Im Kern ist da eine Vierecksgeschichte, die sich besonders durch Affären und Liebschaften entwickelt, in dieser Form aber auch recht soapig wirkt. Um seinen Film auf abendfüllende Länge zu strecken, ist es nötig, dass die Figuren ziemlich willkürlich eben immer dann schweigen, wenn sie eigentlich reden sollten, damit sich die ganze Energie erst pünktlich zum letzten Drittel entladen kann.
Und hier macht Allen sein "Wonder Wheel" auch größer, als es eigentlich ist und verbaut seine charmante und teilweise sehr dramatische Liebesgeschichte, die eigentlich eher die Geschichte einer unglücklichen, sich im Leben verlaufenden Ehefrau ist, mit zu viel Stagnation. Es ist im Grunde löblich, dass er sich hier weitestgehend nur auf fünf handelnde Charaktere fokussiert (eine aus allen Nähten platzende Starbesetzung hat Allen hier also auch nicht mehr im Gepäck), trotzdem hat er letztendlich nicht genug zu erzählen, um ihnen allen den nötigen Schliff mitzugeben. Ginny ist dabei noch der interessanteste, wildeste Charakter, was bisweilen auch an einer herausragenden Darstellung von "Der Vorleser"-Star Kate Winslet liegt, die eben dieser eine hervorragende Schärfe verleiht. Auch Jim Belushi als alkoholkranker, im Kern aber herzlicher, wenn auch herrischer Ehemann geht total in Ordnung, während Juno Temple's Carolina mit fortschreitender Laufzeit leider immer mehr zum unangenehmen Spielball der Handlung wird, der eher passiv in Szenen hineingerollt wird und kein stimmiges Eigenleben entwickelt.
Als Erzähler fungiert hier "Inside Llewyn Davis"-Star Justin Timberlake in seiner ersten Filmrolle seit vier Jahren (wenn man seine Synchronarbeiten an "Trolls" nicht mitzählt), was anfangs noch interessant ist. Denn mit dem Familiendrama rund um die verfolgte Carolina oder die vollkommen wirre Ginny hat er in dieser Form erstmal gar nichts zu tun, weswegen man auf einen Blick von außen hofft. Leider taugt sein Mickey aber mit der Zeit kaum noch als erzählerische Stimme und seine Sichtweise auf die Dinge verleiht dem Film ebenfalls keinen neuen Drive... auch weil Timberlake diesmal merkwürdig blass bleibt.
Insgesamt ist es also recht schwer, "Wonder Wheel" abschließend zu bewerten: Der Film ist hervorragend gefilmt und hat eine schier unnachahmliche Atmosphäre, auch wenn ich gern mehr von diesem riesigen Vergnügungspark gesehen hätte. Kate Winslet ist brillant und die Ansätze einer kleinen Handlung gefallen. Leider entwickelt sich der Film beizeiten in soapige Angelegenheiten, dreht sich im Kreis, bleibt etwas nichtig, ehe er schließlich unaufgeregt und mit etlichen offenen Fäden in den Abspann übergeht. Da bleibt man dann irgendwie etwas ratlos zurück, wobei man davon ausgehen kann, dass eben genau das auch die Absicht des Regisseurs war.
Fazit: Trotz einer brillanten Darstellung von Kate Winslet als getriebene Ehefrau und einigen interessanten, düsteren Charakterspitzen hat mich "Wonder Wheel" nicht begeistern können, bleibt der Plot doch fahrig und unentschlossen, während andere Charaktere seltsam unerzählt bleiben.
Note: 4+
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