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Das schweigende Klassenzimmer

Viele deutsche Filmfreunde mokieren sich teilweise zurecht darüber, dass national beinahe nur noch Filme zu den immergleichen Themen entstehen. Und obwohl diese Themen gewichtig sind und oftmals gute bis herausragende Werke herauskommen können, ist man eben dieser irgendwann doch überdrüssig: Banale Komödien oder eben schwergewichtige Dramen über das Dritte Reich oder die DDR. Ich will diesen Filmen niemals ihre Qualität absprechen (zumindest definitiv nicht allen), trotzdem wäre etwas mehr Mut hin und wieder angebracht. Deswegen habe ich mir "Das schweigende Klassenzimmer" im Kino auch gespart, da das Thema für mich zumindest auf der großen Leinwand auch irgendwann durch war. Nun habe ich den Film im Heimkino nachgeholt und mich über weiteste Strecken gut unterhalten gefühlt...

DAS SCHWEIGENDE KLASSENZIMMER


1956, Stalinstadt: Die beiden Abiturienten und besten Freunde Theo (Leonard Scheicher) und Kurt (Tom Gramenz) werden im Kino Zeuge einer Wochenschau, in welcher von den Aufständen in Ungarn berichtet wird. Dabei wird ihnen der Unterschied zwischen der Berichterstattung im Westen und in der DDR bewusst, weswegen sie mit einigen Freunden beschließen, einen westlichen Radiosender bei dem alten Edgar (Michael Gwisdek), dem Onkel von Klassenkamerad Paul (Isaiah Michalski) zu hören. Dort erfahren sie von etlichen ungarischen Toten bei dem Aufstand und entschließen sich am nächsten Morgen zu einer politisch motivierten Schweigeminute zu Beginn des Unterrichts. Diese zieht allerdings Konsequenzen nach sich, da das Schweigen als verbotene Revolution anerkannt wird... und plötzlich droht die ganze Klasse, von der Schule verwiesen zu werden, sofern sie nicht den Anführer in ihren Reihen zu erkennen geben.

Regisseur Lars Kraume, der zuvor mehrere Male für den "Tatort" zuständig war und auch das Drehbuch für die deutsche Überraschungskomödie "Das schönste Mädchen der Welt" schrieb, inszeniert sein deutsches Drama mit viel Fingerspitzengefühl. Seine Inszenierung ist dabei souverän und kommt ohne störenden Pathos aus, gibt dem Zuschauer aber auch nichts Neues an die Hand. Es klingt etwas gemein, aber weitestgehend sieht "Das schweigende Klassenzimmer" so aus wie neunzig Prozent aller anderen deutschen Produktionen im gleichen Genre und fühlt sich auch so an. Das muss per se nichts Schlechtes sein und ist es hier auch nicht, es fällt aber auch auf, dass Kraume dem Werk keinen eigenen Stempel aufdrücken kann. 
Stattdessen erzählt er seine wahre, historische Geschichte geradlinig und mit gutem Tempo, ohne dabei durch die einzelnen Handlungsepisoden zu hetzen. Der Film ist spannend, an einigen Stellen bewegend und fängt, soweit ich das beurteilen kann, die Atmosphäre des Lebens in der DDR zu Nachkriegszeiten und fünf Jahre vor dem Bau der Mauer, passend ein. Auch hat er sowohl einige starke Jungdarsteller als auch Altstars dabei, die dem Werk durch ihr unaufdringliches Spiel besondere Würze geben. Herausstechen tut dabei Burghart Klaussner in einer wichtigen Gastrolle, doch auch der Rest des Casts, darunter "Fack ju Göhte"-Star Lena Klenke und der großartige Michael Gwisdek müssen sich hinter ihm keinesfalls verstecken. 
Über rund 110 Minuten entwirft Kraume somit ein packendes Zeitbild und füllt dieses mit einem ansprechenden Grundkonflikt, der aufzeigen soll, was wirklicher Mut bedeutet. Hin und wieder macht er es sich aber mit einigen inszenatorischen Spitzen etwas zu einfach und reichert den Plot auch mit einem eher zahm geschriebenen Liebesdreieck an, welches sich mit dem Rest der Handlung beißt und hier gar vernachlässigbar gewesen wäre. Ansonsten zeichnet er aber ein grundsolides und stimmiges Bild aus verschiedenen Figuren und deren eigenen Konflikten und entwirft darüber hinaus auch glaubwürdige, wenn auch gegen Ende etwas zu aufdringliche Familienportraits. 
Etwas mehr Wucht hätten diese einzelnen Konflikte hin und wieder haben können und auch der letzte, ganz große Aufschwung wirkt, obwohl er durchaus intensiv trifft, etwas zu überzeichnet. Auch die "Bösewichte" in Form des Kreisschulrates wirken hier doch etwas zu einseitig auf den fiesen Feind zurechtgestutzt, weswegen ich ein wenig Subtilität doch gern gesehen hätte. Im Kern sind das aber, ebenso wie ein paar kleine Längen, Kinkerlitzchen und wer gar nicht so oft deutsche Kinofilme guckt wird hier ohne direkten Vergleich sicherlich noch etwas deutlicher abgeholt werden. Ich für meinen Teil habe mich packen lassen, ein Klassiker des deutschen Genre-Films ist "Das schweigende Klassenzimmer" dahingehend aber nicht geworden und kann sich somit nicht in eine Reihe mit den meisterhaften "Die Welle" oder "Werk ohne Autor" stellen.

Fazit: Hin und wieder überzeichnet der Film hinsichtlich der Feinde und auch des emotionalen Plots etwas zu stark und verliert im Mittelteil kurzzeitig den Faden. Insgesamt kann das deutsche Historien-Drama aber dank nuancierter Schauspieler, eines packenden Plots und einer sauberen Inszenierung überzeugen.

Note: 3+




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