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Inventing Anna

Eigentlich soll die Lokalreporterin Vivian Kent (Anna Chlumsky) für ihren Vorgesetzten einen Bericht über einen Me-Too-Fall an der Börse abliefern. Vivian jedoch weigert sich, als sie Wind von einem noch völlig unbekannten Fall bekommt, bei welchem die Betrügerin Anna Sorokin (Julia Garner) etliche Finanzmogule, Banken und Celebrities um Millionen von Dollar geprellt haben soll. Vivian riecht eine große Story und versucht Anna, die derzeit in Untersuchungshaft sitzt und auf ihre Verhandlung vor einem Geschworenengericht wartet, zu einem Interview zu überreden. Nach anfänglichen Zweifeln willigt Anna ein, da sie sich von der Berichterstattung eine gewisse Berühmtheit ihrer Person erhofft. Doch Vivian gräbt noch tiefer und widmet sich nicht nur Annas Blickwinkel, sondern auch denen der Geschädigten, ihrer Freunde und ihres Anwalts Todd Spodek (Arian Moayed) zu...

Der Fall rund um Anna Sorokin (oder Anna Delvey) zog schier gigantische Kreise in den Medien. Schon früh riss man sich daher um die möglichen Filmrechte der Geschichte - ein Kampf, den der Streaminggigant letztendlich für sich entschied und somit in diesem Jahr eine Miniserie herausbringen konnte, welche diese unglaubliche Story von allen Seiten zeigte. Diese neun Folgen, die teilweise auch in Überlänge daherkommen, widmen sich nun jedoch nicht nur dem Werdegang und letztendlichen Abstieg der cleveren Betrügerin, sondern auch den Menschen, die sie umgeben haben. Und um nicht nur Anna selbst, sondern auch der über sie berichtenden Reporterin, ihrem Anwalt, ihren "Opfern" und ihren Freunden und Freundinnen gerecht zu werden, braucht die Show einen recht langen Atem. Zu Beginn fällt es daher schwer, in "Inventing Anna" wirklich hereinzukommen, da noch unklar ist, welchen Blickwinkel die Serie eigentlich einnehmen will. Es sieht teilweise sogar so aus, als wolle man sich auf Annas Seite stellen und eine gewisse Faszination übt diese Person tatsächlich auch aus... jedoch nicht, ohne sie ziemlich unsympathisch zu finden. Anna Sorokin nutzte diverse Gesetzeslücken wahnsinnig clever aus und obwohl sie damit ziemlich auf die Schnauze fiel, kann man kaum anders, als ihre biestigen Tricks faszinierend zu finden.
Es ist also eine ebenso hassenswerte wie erstaunlich tiefschürfende Protagonistin, die nicht unverständlicherweise die Medienwelt auf den Kopf gestellt hat. Und auch wenn es Netflix nicht vollständig gelingt, wirklich hinter die Fassade dieser kriminellen Social-Media-Queen zu blicken, so gelingt es den Machern immerhin, diese Geschichte spannend darzubieten. Da macht es sogar relativ wenig, dass der Mittelteil der Serie im Grunde nur aus recht ähnlichen Kapiteln besteht, die beschreiben, wie Anna noch weitere Personen vor den Kopf gestoßen, betrogen oder gar in Gefahr gebracht hat. Das ist nicht allzu tiefschürfend, dabei aber so temporeich inszeniert, dass man tatsächlich einen Spaß daran entdeckt, diese skurillen Tatsachen zu erkunden. Mit einer erstaunliche Leichtfüßigkeit führt Sorokin ihre potenziellen Geldgeber und Fans vor und wie es dieser Frau gelungen ist, sie alle einem Irrglauben vorzuführen, den sie sich praktisch selbst aufgeschnürt haben, ist schon eine spaßige Sache. Das liegt natürlich auch daran, dass Julia Garner der Titelrolle mit ihrer energetischen Performance eine grandiose Ausstrahlung verleiht, wobei hinter dem kalkulierten It-Girl immer wieder die zerbrechliche, mittellose Frau durchbricht. Da kann der ehemalige Kinderstar Anna Chlumsky nicht ganz mithalten, obwohl sie anfänglich recht nervigen Überzeichnungen später deutlich besser in die Rolle der getriebenen Reporterin hineinfindet.
Perfekt ist diese Miniserie also nicht - sie dauert zu lang, jongliert hin und wieder etwas ungenau mit stumpfen Klischees und kann auch nicht jedem Charakter, der in den Fokus gestellt wird, wirkliches Gewicht geben. Am Ende ist und bleibt es aber dennoch eine faszinierende Geschichte, welcher Netflix mit einer schnörkellosen Inszenierung, einem talentierten Cast sowie hohem Tempo und starken Bildern einen sogartigen Anstrich verleiht. Dass die wahre Story (die man kaum glauben würde, wenn man das vorherige Mediengewitter nicht mitbekommen hätte) aber ohnehin eine Goldgrube ist, davon dürfte so ziemlich jeder überzeugt sein und wahrscheinlich wäre da bei einer Verfilmung auch noch ein bisschen mehr möglich gewesen - noch etwas Bösartigeres vielleicht oder auch etwas Tiefsinnigeres. In diesem Fall erfüllt der Streaminggigant die Erwartungen also nur statt sie zu übertreffen, doch das ist nichts, worüber man sich groß ärgern muss. Trotz manch eines Hängers geht man nach einem bärenstarken Finale ziemlich satt aus der Serie heraus und kann nur sagen, dass man sehr gut unterhalten wurde. Und wenn Netflix schon nicht das Maximum aus dem Stoff herausholt, dann ist die Geschichte und all die Informationen und Hintergrund-Storys für sich schon so spannend, dass man "Inventing Anna" nur wenig vorwerfen kann. Eine wahre Geschichte, die eben zu gut ist, um sie irgendwie zu versauen und somit ein Gewinn mit Ankündigung.

Fazit: Eine ohnehin faszinierende Geschichte rund um mehrere ambivalente Personen wird von Netflix solide, ohne große Überraschungen, aber auch ohne größere Fehltritte verfilmt: Temporeich, spannend, gut gespielt und unterhaltsam. Kein ganz großer Wurf, aber durchaus packende und teilweise ziemlich biestige Unterhaltung.

Note: 3+



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