Direkt zum Hauptbereich

Tagebuch eines Skandals

Barbara Covett (Judi Dench) lehrt Geschichte an der St.-Georgs-Schule in London und wird von ihrem Kollegium aufgrund ihrer starren Art eher missträuisch beäugt. Als die junge Kunstlehrerin Sheba Hart (Cate Blanchett) neu an der Schule anfängt, freunden sich die beiden Frauen rasch an - Barbara wird sogar zum gemeinsamen Abendessen mit Sheba und ihrer Familie eingeladen. Als Barbara während einer Schulfeier die junge Kollegin jedoch mit dem fünfzehnjährigen Schüler Steven Connolly (Andrew Simpson) während des Geschlechtsverkehrs beobachtet, zieht sie einen Entschluss. Statt Sheba auflaufen zu lassen, möchte sie ihr aus der Misere heraushelfen... doch verfolgt Barbara dabei ein ganz eigenes, persönliches Ziel.

Es ist schon erstaunlich, wie viele Tonalitäten, Geschichten und Figuren in diesen rasant verlaufenden 91 Minuten thematisiert und angesprochen werden, ohne dass "Tagebuch eines Skandals" auch nur annähernd aus dem Takt geraten würde. Im Fokus steht dabei natürlich die verschiedene Bahnen durchlaufende Beziehung zwischen den beiden Lehrerinnen, wobei Sheba aufgrund ihrer verbotenen Affäre in ein tiefes Loch fällt, aus welchem sie alleine nicht mehr herausklettern kann. Diese Geschichte entwickelt sich dabei hochspannend wie ein Thriller und das fantastische, oscarnominierte Drehbuch von Patrick Marber versteht es ausgezeichnet, alle diese Charaktere zu verstehen und sie sogar nachempfinden zu können. Angesichts der sträflichen Tat, die Sheba hier ausführt, ist das schon eine verdammt löbliche Leistung - aufgrund der grandios gezeichneten Figuren wollen wir jedoch keinen von ihnen, trotz ihrer düsteren Seiten, in eine Schublade stecken. Der Film hat genug Herz und Verstand, um ihre finsteren Abgründe niemals schönzureden, sie gar ganz eindeutig zu inszenieren, aber sie auch nicht zu simplifizieren oder in einfaches Gut oder Böse zu unterteilen.
In einem packenden Mix aus Drama und Thriller vereint Regisseur Richard Eyre das Beste aus beiden Genres - er ist ungemein spannend, voller überraschender Wendungen und harter Tiefschläge. Darüber hinaus bleibt das Drehbuch aber stets ganz nah an den tief gezeichneten, psychologisch ungemein interessanten Figuren. Alles, was um sie herum geschieht, spiegelt sich in den Augen von Figuren, bei denen wir manchmal nicht wissen, ob wir ihnen noch die Daumen drücken, sie lieber verteufeln oder angesichts der prekären Lage gleich ganz aufgeben wollen. Eyre und Marber finden in diesen Konflikten stets einen passenden Kontext, der niemals angenehm, sondern stets schmerzhaft realistisch ist. Das spiegelt sich auch in den faszinierenden Dialogen wieder - stets auf den Punkt, oftmals aber auf gar magische Art und Weise fließend. Bitterböse Off-Kommentare der Protagonistin gehen Hand in Hand mit einfühlsamen Dialogen über finstere Themen, die zu selten kommentiert oder schlicht und einfach in eine Schublade gesteckt werden. Eyre und Marber lassen sie alle zu Wort kommen, auch wenn ihre Aussagen am Ende nicht immer leicht zu schlucken sind. Beide entwerfen, getragen von einem fantastischen Soundtrack und einer beeindruckenden, nuancierten Bildsprache, ein schmerzhaftes Drama, welches weit über das hinausgeht, was man dem Film zu Beginn zutrauen mochte.
Die beiden Hauptdarstellerinnen wurden anschließend beide völlig zurecht für einen Oscar nominiert. Tatsächlich fällt es wahnsinnig schwer zu sagen, welche der beiden so unterschiedlich agierenden Frauen hier besser ist als die andere - die Lösung ist wahrscheinlich, dass beide einfach meisterhaft sind und eine der jeweils besten Leistungen ihrer an Höhepunkten sicherlich nicht armen Karrieren abliefern. Judi Dench spielt die ältere Lehrerin mit einer Würde, gleichzeitig aber auch mit einer unbändigen, teilweise unheimlichen Kraft, dass einem Hören und Sehen vergeht. Und "Carol"-Star Cate Blanchett ist als zermarterte Künstlerin schlichtweg magisch, anziehend und ungemein glaubwürdig, dass jede ihrer Szenen selbst wie ein Kunstwerk anmutet. Namhafte Stars wie Juno Temple oder der großartige Bill Nighy runden den fabelhaften Cast in prägnanten Nebenrollen ab. Selbst als das Drehbuch in der zweiten Hälfte ein wenig an Schwung zu verlieren droht und das Finale in dieser Form ein wenig reißerisch anmutet (aber dann doch noch die Kurve kriegt), halten diese großen Talente durchweg die Fahne hoch und sorgen dafür, dass jeder Ton stimmt und jede Zeile sitzt.

Fazit: Aufwühlendes Drama, hochspannend und schlichtweg meisterhaft gespielt. Ein großartiges Drehbuch, welches die finsteren Seiten des Alltags nach außen kehrt und Dinge ausspricht, die sonst nur reißerische Themen sein würden. Große Filmkunst, trotz kleinerer Schwächen in der zweiten Hälfte.

Note: 2+



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Eiskalte Engel

Die 90er Jahre waren das absolute Revival für die Teenager-Komödie, wobei so manch ein auch etwas verruchterer Klassiker entstand. Dabei gereichte es zur damaligen Zeit bereits für "American Pie", in welchem es sich zwar weitestgehend nur um Sex dreht, der aber dennoch recht harmlos daherkam, zu einem kleinen Skandal. Die logische Fortführung dessen war schließlich "Eiskalte Engel", wo der Sex nicht nur der Hauptfokus ist, sondern im Grunde den einzigen sinnigen Lebensinhalt der Hauptfiguren darstellt. Das ist dann zwar ziemlich heiß und gerade für einen Film der letzten Dekade, der sich an Teenies richtet, erstaunlich freizügig... aber auch sehr vorhersehbar und irgendwie auch ziemlich doof. EISKALTE ENGEL Für den attraktiven Jungspund Sebastian Valmont (Ryan Philippe) ist die Verführung von naiven, jungen Damen der Mittelpunkt des Lebens. Um dem ganzen einen zusätzlichen Reiz zu verschaffen, sucht er stets neue Herausforderungen und geht schließlich mit se

Eddie the Eagle - Alles ist möglich

"Das wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht der Sieg, sondern die Teilnahme. Das wichtigste im Leben ist nicht der Triumph, sondern der Kampf." Dieses Zitat, welches den Film "Eddie the Eagle" abschließt, stammt von Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele. Und es bringt den Kern der Geschichte, die in diesem Film erzählt wird, sehr gut auf den Punkt, denn um den Sieg geht es hier eigentlich nicht oder zumindest nicht sehr lange. Aber es wird gekämpft und das obwohl niemand dieses seltsame Gespann aus Trainer und Sportler wirklich ernstnehmen wollte - genau das ist das Herz dieses Biopics, welches viele Schwächen, aber zum Glück auch viel Herz hat... EDDIE THE EAGLE Für Michael Edwards (Taron Egerton) gibt es trotz einer bleibenden Knieverletzung nur einen Traum: Er will in einer Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Schon in seiner Kindheit scheitert er beim Hammerwerfen und Luftanhalten und landet schließlich, sehr

Holzhammer pur: Filmkritik zu "Cherry - Das Ende aller Unschuld"

Mit achtzehn Jahren ist sich der Student Cherry (Tom Holland) sicher, in seiner Kommilitonin Emily (Ciara Bravo) die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Als diese ihn jedoch eiskalt verlässt, beschließt Cherry in seiner Trauer, sich für die Army zu verpflichten... noch nicht wissend, dass Emily ihre Meinung ändern und zu ihm zurückkehren wird. Doch der Schritt ist bereits getan und Cherry wird für zwei Jahre in den Irak versetzt, um dort für sein Land zu kämpfen. Die Erfahrungen, die er dort macht und die Dinge, die er dort sehen wird, lassen ihn völlig kaputt zurück... und machen schließlich auch die Rückkehr in seine Heimat und sein folgendes Leben zu einem irren Rausch verkommen, der nicht nur ihn selbst, sondern auch die Menschen um ihn herum zu zerstören droht. Die Brüder Anthony Joe und Russo, die mit dem genialen "Avengers"-Doppel "Infinity War" und "Endgame" zwei der erfolgreichsten und besten Filme unserer Zeit erschufen, holen Tom "Spid