Billi Wang (Awkwafina) lebt in den USA und hat ernsthafte Geldprobleme. Als sie von der Krebserkrankung ihrer geliebten, in China lebenden Großmutter Nai Nai (Shuzhen Zhao) erfährt, ist sie am Boden zerstört. Als noch schlimmer erachtet sie jedoch den Plan ihrer Familie, der alten Frau nichts von ihrer eigenen Erkrankung zu erzählen, um, auch aufgrund einer in China währenden Tradition, ihre letzten Monate in Glückseligkeit und ohne Trauer zu belassen. Zudem will die Familie eine fingierte Hochzeit von Billis Cousin Hao Hao (Han Chen) aufziehen - dabei sollen alle in China zusammenkommen, um Nai Nai noch einmal zu sehen. Entgegen den Wünschen ihrer Familie reist auch Billi zur Hochzeit an, wobei sie stets im Konflikt mit deren Plänen und ihrem eigenen Gewissen steht. Ist es richtig, Nai Nai im Glauben der besten Gesundheit zu belassen, um sie nicht zu belasten... oder ist auch eine solch gutgemeinte Lüge eine sträfliche Lüge?
Die Tragikomödie von Regisseurin Lulu Wang lebt erst einmal von einer gewissen "Fish out of Water"-Geschichte, wo kulturelle Eigenheiten aufeinanderprallen und für diverse Diskussionen und auch kleine Missgeschicke sorgen. Wahnsinnig interessant ist dabei der Aspekt der Tradition, einem sterbenskranken Menschen nichts von dessen baldigen Tod zu erzählen, was interessante Fragen aufwirft. Geht der Tod eines Menschen und somit zwangsläufig auch dessen Leben nur eben diesen Menschen selbst etwas a? Oder gehört das Leben eines geliebten Menschen auch denen, die diesen umgeben, weswegen sie ein Recht darauf haben, gewisse Dinge mitzuentscheiden... sogar über den Kopf der kranken Frau hinaus? In diesem moralischen Dilemma ist die Protagonistin gefangen, die ständig zwischen ihrer Liebe zu ihrer Großmutter, ihren eigenen Grundsätzen und den Wünschen ihrer Familie schwankt. Dabei gelingt es Wang auf außergewöhnliche Art und Weise nicht nur Billis Ängste, sondern auch die Ansichten ihrer zu Beginn noch egomanisch wirkenden Familie zu erklären und nachvollziehbar zu gestalten.
Der innere Konflikt bringt Billi dann auch in einen Kampf zwischen ihrer Herkunft und ihrem jetzigen Leben. Sie liebt ihre Familie und auch ihre Traditionen, selbst wenn sie eine andere Meinung hat. Sie begegnet ihnen mit Respekt und Akezptanz, doch ihr Leben in den USA hat ihr auch beigebracht, solcherlei zu hinterfragen, den Mund aufzumachen, über ihre Gefühle zu reden. Die Szenen, in denen die ruhig agierende, ihre Emotionen nur schwer versteckende Billi mit den anderen Familienmitgliedern agiert, die ebenfalls eine schwere Entscheidung getroffen haben, gehören zu den stärksten des Films. Das liegt nicht nur an den wunderbaren Dialogen und der generellen Atmosphäre, die von lebensecher Leichtfüßigkeit bis zu erdrückender Schwermut reicht, sondern auch an der Hauptdarstellerin selbst: Awkwafina wurde für ihre grandiose Darstellung für diverse Filmpreise nominiert und gewann auch den Golden Globe als beste Hauptdarstellerin in einem Drama.Wie der "Ocean's 8"-Star dabei gewichtig zwischen flotter Lockerheit und dem inneren Krampf wechselt, ist wahnsinnig beeindruckend anzusehen und verleiht ihrem Charakter gleichermaßen eine gewisse jugendliche Naivität als auch erwachsene Weitsicht.
Optisch hat sich Wang von traditionellen chinesischen Malereien inspirieren lassen, was ihre Aufnahmen, in denen die Menschen immer wieder das Bild verlassen und schließlich zurückkommen, sie dem Zuschauer den Rücken zuwenden, zu kleinen Kunstwerken macht. Es wirkt beinahe so, als würden wir Zuschauer einer echten Familie zusehen, wo nichts durchgetaktet oder gestellt wirkt. Da fällt eben auch mal ein Dekoherz im Hintergrund herunter, Teller klirren, Menschen reden durcheinander. Getragen von einem wunderschönen Soundtrack entstehen dabei sowohl Bilder, die wie aus dem echten Leben herausfotografiert wirken, als auch malerische Aufnahmen, von einer gewissen, sensiblen Schönheit, aber auch Einsamkeit oder Hoffnung. Es lässt sich jedoch nicht verhehlen, dass "The Farewell" trotz all dem Herz und der inszenatorischen Kunst in der zweiten Hälfte deutlich an Schwung verliert. Der Plot beginnt sich, nachdem im Grunde klar ist, wohin die Reise gehen wird, deutlich im Kreis und auch die charmanten Nebenfiguren bekommen im weiteren Verlauf immer weniger Raum. Der Film sorgt so zwar noch für manch einen heiteren Moment sowie einen emotionalen Schlussakt, kann die leise Begeisterung der ersten Hälfte aber nicht mehr zurückholen.
Fazit: In dieser sensiblen Tragikomödie glänzt Awkwafina als unsichere Billi, gefangen zwischen Traditionen, die sie versteht und respektiert, und ihren eigenen moralischen Grundsätzen. Wunderbar gefilmt und gespielt, lässt "The Farewell" nach einem starken Beginn im weiteren Verlauf seiner Handlung aber immer deutlicher Federn.
Note: 3+
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