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Fast schon zu persönlich: Filmkritik zu "Belfast (2021)"

Der neunjährige Buddy (Jude Hill) lebt Ende der Sechzigerjahre mit seiner Familie in Belfast. Dort wird er auch Zeuge der Unruhen während des Nordirlandkonflikts, als Protestanten durch die katholischen Wohnviertel ziehen, um dort zu randalieren. Buddys Familie versucht, dem Jungen ein möglichst normales Leben zu schenken, doch die Konflikte gehen nicht spurlos an ihm vorbei. So muss Buddys Vater (Jamie Dornan) immer wieder für mehrere Wochen nach England gehen, um dort zu arbeiten und das nötige Geld zu verdienen. Buddy hingegen vertreibt sich seine Zeit, indem er seine Großeltern (Judi Dench, Ciaran Hinds) besucht, Filme schaut und für seine Klassenkameradin Catherine (Olive Tennant) schwärmt, bei welcher er jedoch befürchtet, dass sie womöglich in einen anderen Jungen verliebt ist...

"Belfast" galt schon früh als einer der Favoriten für die vergangene Oscarverleihung. Das mag auch daran liegen, dass der Regisseur Kenneth Branagh hier eine Arbeit ablieferte, die deutlich persönlicher anmutet als das, was er in den letzten Jahren an Blockbustern gedreht hat. Das Herz, dass für diese Geschichte schlägt, ist durchgehend spürbar und man merkt, dass es Branagh ein persönliches Anliegen war. Hin und wieder ist er aber beinahe schon zu nahe dran und vergisst dabei, auch die unbedarfteren Zuschauer*innen noch mitzunehmen. So muss man sich, wenn man nicht wirklich mit der Geschichte rund um den Nordirlandkonflikt in den 60er-Jahren vertraut ist, einige historische Details selbst zusammenpuzzeln und die kurzen, eingestreuten Nachrichtenbilder helfen dabei nur wenig. Daran kranken dann auch einige dramatische Zuspitzungen in der letzten halben Stunde, da man nicht wirklich einen Zugang für das politische, große Ganze bekommen hat und somit die Fallhöhe nicht immer nachvollziehen kann.
Was Branagh jedoch ohne Umschweife grandios gelingt, ist ein Bild einer Familie zu zeichnen, die seit Generationen an einem Ort festsitzt und dort wohl auch bleiben wird. Buddys Vater träumt von anderen Orten, weit fernab, er will die Welt sehen... doch seine Familie hat sich so sehr daran gewöhnt, dass ausschließlich Belfast ihre Welt ist, dass solcherlei Ziele schier unmöglich scheinen. Dieser Konflikt spiegelt sich in Buddys Großeltern, die ihr ganzes Leben an diesem Ort verbracht haben und denen es wohl auch nicht mehr gelingen wird, noch etwas anderes zu sehen, selbst wenn sie es wollten. Auch dass Branagh diese politisch zugespitzten Zeiten aus den Augen eines unschuldigen Kindes präsentiert, ist ein gewiefter Schachzug. So verlieren die brutalen Szenen, in denen große Massen von Menschen mit Fackeln durch die Straßen ziehen, um Läden zu plündern, Autos anzuzünden und Fenster einzuwerfen, nicht an Intensität, doch kann Branagh auch wunderbar herzliche Momente erschaffen, in denen Buddy ein Kind sein darf... und wir bekommen somit viele Szenen zu sehen, die uns an unsere eigene Kindheit erinnern, als die Zeiten noch einfacher waren oder wir zumindest glaubten, dass dem so sei.
Zu den schönsten Szenen gehören dabei die, in denen Buddy seine Großeltern besucht und sich vor allem von seinem Großvater immer wieder kleine und große Weisheiten und Lebenstipps abholt. Dass Ciaran Hinds und "Philomena"-Star Judi Dench in diesen Rollen schlichtweg grandios sind, daran hatte zuvor wohl auch niemand einen echten Zweifel. Nicht vergessen sollte man aber auch den eigentlichen Hauptdarsteller, der hier als Nachwuchsstar auftritt und dabei so ungemein natürlich agiert, dass es eine wahre Freude ist, ihm zuzusehen. Von Jude Hill werden wir in Zukunft also hoffentlich noch so einiges hören. Wunderbar agiert er dabei nicht nur gemeinsam mit seinen erfahreneren Co-Stars, sondern auch in einer charmant erzählten Liebesgeschichte aus Kinderaugen, die unschuldig, pur und absolut herzerwärmend erzählt wird, ohne dabei in nervige Kitschgefilde abzurutschen. Dabei ist beinahe der gesamte Film in Schwarz/Weiß gedreht worden, was der Atmosphäre durchaus gut tut. Wenige Farbtupfer sowie einige Aufnahmen zu Beginn haben mich jedoch beinahe wünschen lassen, den gesamten Film in Farbe zu sehen. "Belfast" hält nämlich durchweg so wunderschöne Aufnahmen bereit, die beinahe wie Gemälde wirken, dass ich mich ihrer Schönheit kaum entziehen konnte.

Fazit: Ein sehr persönliches, vielleicht auch manchmal zu persönliches Werk von Kenneth Branagh, welches besonders davon zehrt, eine düstere Geschichte aus Kinderaugen zu erzählen. Dramaturgisch clever, hin und wieder vielleicht zu dicht dran, aber durchgehend interessant und bewegend.

Note: 3+



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