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Dear Evan Hansen

Als Außenseiter ohne Freunde, der zudem noch unter schweren Depressionen leidet, hat es Evan Hansen (Tom Platt) in der Schule nicht gerade leicht. Seine Therapeutin gab ihm als Hausaufgabe mit, Briefe an sich selbst zu schreiben, was Evan auch zu tun versucht. Leider landet einer dieser Briefe, die Evan an sich selbst adressierte, jedoch in den Händen des psychisch kranken Mobbers Connor Murphy (Colton Ryan), in dessen Schwester Zoe (Kaitlyn Dever) Evan heimlich verliebt ist. Kurz darauf begeht Connor Selbstmord - und seine Eltern Larry (Danny Pino) und Cynthia (Amy Adams) finden den an Evan adressierten Brief als seine letzte, vermeintliche Botschaft vor. In dem Glauben, dass Evan ein Freund an Connors Seite war, suchen sie den Kontakt zu ihm... und Evan verstrickt sich in einer großen Lüge, die sich immer weiter zu verselbstständigen scheint.

Seit dem Jahr 2015 ist das Musical "Dear Evan Hansen" am Broadway ein riesiger Hit, der mehrere Tony Awards einsackte und das Publikum besonders aufgrund der Ansprache von solch schwierigen Themen wie Suizid, Depressionen und Mobbing packte. Eine Verfilmung des Werkes erschien schließlich im Jahr 2021 und bewies nur anderthalb Jahre nach dem Millionengrab "Cats", dass eine tolle Bühnenshow nicht auch gleich einen hervorragenden Film abgeben muss. Die Verfilmung von "Wunder"-Regisseur Stephen Chbosky krankt nämlich gleich an mehreren Dingen... zum Beispiel daran, dass es ein Musical ist. Denn obwohl die Songs aus den selben Händen stammen wie die Meisterwerke aus "La La Land" oder "The Greatest Showman", will sich hier kein wirkliches Ohrwurm-Gefühl einstellen. Dabei hätten die hier deutlich zögerlicher und schüchterner vorgetragenen Nummern, die ganz ohne große Massenszenen auskommen, das Zeug zum Klassiker gehabt. Im Film unterbrechen sie den ohnehin ziemlich langatmigen und unentschlossenen Fluss aber immer wieder... auch da Hauptdarsteller Tom Platt in der Filmversion nicht ganz überzeugt.
Auf der Theaterbühne spielt Platt den Hauptcharakter schon von Beginn an... dass er sich auch im Kino überzeugt, kann er hier noch nicht beweisen. Denn seine Performance wirkt zu forciert, zu gewollt - etwas, was auf der Bühne erwünscht und sogar notwendig ist, um in seiner Größe das gesamte Publikum im Saale zu erreichen, wirkt hier zu groß, zu unreal. Und das ist gerade bei einer Person, die an solch realen Problemen leidet, schon nicht wirklich einfach. Immerhin macht der Rest des Casts seine Sache etwas besser, was vor allem für "Booksmart"-Star Kaitlyn Dever gilt, die sowohl in den emotionalen Gesangseinlagen als auch in ihrem natürlichen Spiel voll aufgeht. Dass alle anderen Schauspieler*innen, unter ihnen die oscarprämierte Julianne Moore sowie die sechsfach (!) oscarnominierte Amy Adams, trotz solider Leistungen nicht so richtig in Erinnerung bleiben, liegt auch am Drehbuch, welches sich offenbar nicht ganz entscheiden konnte, in welche Richtung es eigentlich gehen will. So lädt es sich mit dem immer schneller außer Kontrolle geratenen Lügenkonstrukt Evans eine ganze Menge Holz auf, kann sich all diesen Themen später aber nur noch oberflächlich widmen.
Immerhin werden einige sehr interessante Fragen aufgebrochen - so zum Beispiel die, ob sogar eine solch schreckliche Lüge wie die von Evan nicht sogar richtig und wichtig sein kann, wenn durch sie so viele Menschen gerettet werden... und sei es auch nur in einer Fantasie. In Szenen, in denen es tatsächlich um den Schmerz einer Familie geht, die durch eine Lüge geheilt wird, ist "Dear Evan Hansen" am besten, doch leider werden auch die inneren Konflikte von Mutter und Stiefvater des Verstorbenen letztendlich nur kurz angeschnitten. Selbiges gilt auch für ein rasant ins Leben gerufenes Projekt unter dem Namen des Verstorbenen, welches anderen depressiven Menschen helfen soll - dieser Plot, in welchem "The Hate U Give"-Star Amandla Stenberg ordentlich Feuer gibt, wird immer wieder eingespielt, ohne dabei aber von wirklicher Relevanz zu sein und wird letztendlich nur als ziemlich aggressiver Katalysator für einige Wendungen und Eskalationen genutzt. Doch trotz all dieser Schwächen lässt sich nicht verhehlen, dass innerhalb dieser Verfilmung noch ganz deutlich ein Herz schlummert. Dass die Wahrheiten, die der Film ausspricht und angenehm ambivalent verpackt, richtig und wichtig sind und den Zuschauer auch selbst zum Nachdenken bringt. Ob es dafür aber nun einen Film gebraucht hätte oder die Bühnenversion als solche nicht schon ausreichend war, darüber lässt sich mit Sicherheit streiten.

Fazit: Als Bühnenversion ein Hit, als Film eher Durchschnitt. "Dear Evan Hansen" ist in seinem Tonfall unentschlossen und grast zu viele Einzelschauplätze zu schnell ab, um sich diesen wirklich widmen zu können. Trotzdem trägt der Film das Herz am rechten Fleck und hält wichtige Messages, ambivalente Figuren und eine im Kern bewegende Geschichte bereit.

Note: 3-



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