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Philomena

Für eine Mutter kann es wohl nichts Schrecklicheres geben als ihr Kind zu verlieren. Ich selbst kann mir dies kaum vorstellen: Weder bin ich eine Mutter (und werde es natürlich auch nie sein) noch habe ich selbst Kinder und kann dieses Gefühl der innigsten aller Verbundenheiten dementsprechend auch nur ansatzweise so stark nachvollziehen. Filme über Mütter, die alle Steine in Bewegung setzen, um ihrem Kind zu helfen, es zu finden oder aufzuspüren, sehe ich dennoch sehr gerne - wenn sie richtig inszeniert sind, kann dabei ein kraftvolles Drama herausspringen. Überraschend also, dass ich so lange gebraucht habe, um mir "Philomena" anzusehen, den ich bereits bei seinem Erscheinen im Jahr 2013 auf meine Merkliste setzte. Nun konnte ich ihn endlich nachholen und war tatsächlich sehr angetan von dem Endergebnis...

PHILOMENA


Philomena Lee (Judi Dench) gebar vor fünfzig Jahren in einem Kloster ein Kind - damals wurde es ihr weggenommen und ohne ihre Einwilligung zur Adoption freigegeben. Seitdem sie dem Kloster den Rücken kehrte, sucht die mittlerweile pensionierte Krankenschwester nach ihrem Sohn und trifft somit auf den ehemaligen BBC-Journalisten Martin Sixsmith (Steve Coogan), der in Ungnade gefallen ist und nach einer neuen Story sucht. Erst ist er nicht begeistert von einer "Human Interests"-Geschichte, doch dann willigt er ein - vielleicht könnte ja tatsächlich etwas dabei herausspringen, was seine Karriere wieder ankurbelt? Gemeinsam mit Philomena bricht er nach Irland auf, um die Spuren nachzuverfolgen... und sie begeben sich auf eine erschütternde Reise in die Vergangenheit.

Eine schier unglaubliche, aber tatsächlich wahre Geschichte, die deswegen vor reiner Kraft strotzt und aufzeigt, was eine Mutter bereit ist zu tun, um ihr Kind zu finden. Regisseur Stephen Frears, der später mit Judi Dench auch noch an "Victoria & Abdul" arbeitete, findet darin eine augenscheinlich perfekte Balance zwischen erheiternder Wortwitz-Komik und tief berührendem Drama. Er arbeitet die Geschichte nicht an ihren einzelnen, tragischen Wendepunkten ab, sondern sorgt in der gar nicht mal so einseitigen Zeichnung seiner Hauptcharaktere auch dafür, dass der geneigte Zuschauer immer wieder etwas zum Schmunzeln hat.
Großartig gelingt dabei das Aufeinandertreffen der zwei so unterschiedlichen Hauptfiguren - "Our Idiot Brother"-Star Steve Coogan als verkopfter Journalist, der vor allem eine wertige Geschichte und somit einen Schritt hinauf auf der Karriereleiter, die er zuvor hinabgefallen ist, riecht; und die wie immer großartige Judi Dench als augenscheinlich etwas naive und einfältige alte Dame, die jedoch ein Herz aus Gold besitzt. Hin und wieder tappt Frears beinahe in die Falle, seine Geschichte und die Charaktere zu kitschig aufzuziehen - dass Philomena in jedem Menschen, sei es der Kellner, eine Schwester oder eben Sixsmith selbst, etwas unabdinglich Gutes sieht und dies auch immer wieder anspricht, wirkt manchmal etwas zu hochtrabend.
Genau so zünden aber die moralischen Konflikte zwischen den beiden und wenn sie gegen Ende entscheiden müssen, ob sie einen groben Fehler, eine furchtbare Tat eines anderen verzeihen können, findet das Drehbuch gerade in diesem Bereich eine nicht unbedingt versöhnliche, aber dennoch glaubwürdige und auch irgendwie mutmachende Version. Ob das nun alles auch auf den wahren Charakter der Philomena Lee zutrifft, können wohl nur ihre nahestehenden Freunde und Verwandte wissen, als reine Filmfigur wirkt sie aber durchaus sympathisch, mit flotten Sprüchen auf den Lippen. Wenn diese alte Dame, die zuvor eher ihren eigenen Film gefahren ist, plötzlich mit der Business-Class fliegen darf, tut sich für sie eine neue Welt auf, die wir durch ihre Augen ebenfalls erfahren - der eher etwas gelangweilte Sixsmith sitzt derweil daneben, für ihn ist der kostenlose Champagner eben Alltag. Ein nicht unbedingt originelles, komödiantisch aber ebenso nuanciertes wie treffsicheres Brett, welches sich hier entspinnt.
Doch auch in der Dramaecke trifft "Philomena" mit einigen so nicht unbedingt erwarteten Wendungen ziemlich genau ins Schwarze, verkneift sich aber auch hier den Holzhammer. Dem Zuschauer wird nicht unbedingt seine eigene Meinung gelassen, aber wird zumindest dazu gebracht, über das Gesehene nachzudenken, einige Schläge in die Magengrube zu verdauen. Dass der Film es dabei schafft, nicht dauerhaft bedeutungsschwanger zu sein, den Zuschauer auf Gedeih und Verderb zu Tränen rühren zu wollen, kann man ihm dann auch noch sehr positiv anrechnen. Der Balanceakt stimmt hier also weitestgehend, bis zu einem mutmachenden Ende, welches aber auch düstere Züge aufweist. Im Kern also nicht der ganz einfache Film, als der er vermarktet wurde, aber durchaus ein sehr sehenswerter - wegen Judi Dench und Steve Coogan, wegen einer sich immer weiter entspinnenden Geschichte, wegen dem herrlichen britischen Humor... und weil der Film das Herz durchaus am rechten Fleck hat, trotz manch einer Schwäche.

Fazit: "Philomena" ist ein geglückter Balanceakt zwischen nuanciert inszeniertem Drama und britischer Comedy. Niemals platt, ohne Holzhammer-Tragik, dafür versiert mit zwei großartigen Hauptdarstellern. Manchmal vielleicht etwas zu süßlich, insgesamt aber ein rundum schöner Film mit Herz und Witz.

Note: 2-







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