Schade eigentlich - Fatih Akins herausragender Thriller "Aus dem Nichts" galt in diesem Jahr eigentlich als Mitfavorit auf den Auslandsoscar... sahnte letztendlich aber nicht mal eine Nominierung ab. Dabei hätte Fakin eine solche Auszeichnung aber wirklich verdient, gilt er doch als einer der besseren deutschen Filmemacher, die nicht auf den Mainstream grinsen, sondern wirklich noch Ideen und Herz hinter ihren Werken haben. Herz hat auch Akins "Tschick" aus dem Jahr 2016, überzeugt dabei aber nicht durchgehend, da es ihm immer wieder an Schwung und auch an einer klaren Linie fehlt...
TSCHICK
In der Schule ist er förmlich unsichtbar, sein großer Schwarm Tatjana (Aniya Wendel) interessiert sich nicht für ihn, seine Mutter (Anja Schneider) ist Alkoholikerin, sein egozentrischer Vater (Uwe Bohm) geht fremd und Freunde hat er auch nicht wirklich... der vierzehnjährige Maik Klingenberg (Tristan Göbel) geht also erneut einem einsamen Sommer entgegen. Doch dann steht plötzlich der zuvor neu zur Klasse hinzugestoßene, aus Russland stammende Andrej (Anand Batbileg), von allen nur "Tschick" genannt, vor seiner Tür... und lädt Maik auf ein Abenteuer ein. Dieser sagt skeptisch zu und erlebt einen unvergesslichen Sommer.
Als Aufhänger ist das natürlich altbekannt und auch ein bisschen dünn - ein Roadtrip im Mittelpunkt, einfach mal das Leben ziehen lassen, von einem Tag in den anderen sausen, ohne zu wissen, wo man am nächsten Abend sein wird. Obwohl die Geschichte keineswegs originell ist, gelingt es Regisseur Fatih Akin gerade im ersten Drittel einen bemerkenswerten Sog zu kreieren. Durch sympathische Charaktere, eine schöne Bildsprache, einen guten Soundtrack und einige sehr spaßige Ideen, die nicht ausgewalzt wirken, entsteht ein rundum passender Prolog, der es dem Zuschauer ermöglicht, eine Bindung zu den Figuren aufzubauen... insbesondere zu Hauptfigur Maik, dessen Empfindungen, Wünsche und Gefühle immer wieder originell und witzig bebildert werden, wobei man gerne die Grenze sprengt - etwas, was der deutsche Film ja nur selten tut.
Sobald der Roadtrip, der hier im Fokus stehen soll, beginnt, fängt dieses Konstrukt jedoch an zu bröckeln. Viele Szenen und Momente, die eigentlich das Potenzial zu Größerem hätten, werden nur angestrichen, ein roter Faden ist, außer dass die beiden Jungs eben nach Süden wollen, nur noch schwer auszumachen. Schwierig ist, dass dabei auch die aufkeimende Freundschaft zwischen Maik und Tschick etwas müßig geschrieben ist. Sicher, beide sind Außenseiter und freunden sich daher an, etwas mehr als das hätte es dann aber doch sein dürfen, besonders, da wir über diesen Tschick im Nachhinein auch nicht mehr viel erfahren. Der Film reißt im Anschluss viele Themen an, über den Hang zum Gesetzebrechen, die erste Liebe, Sex, Alkohol und Familie, vertieft diese aber zu selten, um wirklich einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen und trifft dabei auch oftmals den falschen Ton.
Ein gutes Beispiel ist dabei der Charakter der Tatjana, Maiks großer Schwarm, der zwar eigentlich keine große Rolle spielt, hier aber immer wieder erwähnt wird. In einer Schlüsselszene sagt Tschick, dass diese doch eigentlich gar nicht so cool sei und Maik etwas Besseres verdient hätte... eine vorhersehbare Wendung, soll Maik auf dem Roadtrip doch endlich zu sich selbst finden. Problematisch daran ist jedoch, dass diese Tatjana zuvor eigentlich niemals durchscheinen ließ, dass sie in irgendeiner Form ein schlechter Mensch sei. Sie redet nun mal nicht mit Maik, was seine Gründe haben dürfte, hat ihn aber auch nie gemobbt (das blieb seinen wesentlich einfältigeren Klassenkameraden überlassen) und wird somit später als "die Böse" abgestempelt. Maik hingegen hat mit ihr eben auch nie ein Wort gewechselt, soll aber der Sympathisant sein, der sich eben einfach nicht traut, seine Traumfrau, die viel zu beliebt ist und sogar eine große Geburtstagsparty schmeißt, anzusprechen. Ebenfalls verständlich, aber das Mädchen als hochnäsig darzustellen, nur weil sie eben nicht den ersten Schritt macht und später auch kaum mehr die Chance erhält, eine weitere Chance zu erhalten, ist nicht nur dünn, sondern schlichtweg falsch.
Solch seltsame Momente gibt es in "Tschick" leider nicht nur einmal, weswegen die Charaktere hier doch etwas oberflächlich anmuten - da kann dann auch die einfühlsame Bildsprache nicht darüber hinwegtäuschen, dass das emotionale Potenzial verschenkt wurde und auch die jungen Darsteller nicht immer fähig sind, dieses irgendwie anzulegen. Insgesamt hat "Tschick" aber auch viele starke Szenen und scheint zumindest seine Hauptfigur ernstzunehmen, scheut sich nicht vor schwierigeren Themen und ist kurzweilig erzählt. Das ist immer noch ganz gut, aber wesentlich weniger als erwartet.
Fazit: "Tschick" hat seine Momente und liefert einen sympathischen Hauptdarsteller, in den wir uns gut hineinversetzen können. Auf charakterliche Ebene bleibt der Film aber leider zu dünn und reißt dramatische Eckpunkte nur an, ohne sie zu vertiefen.
Note: 3
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