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You - Du wirst mich lieben - Die erste Staffel

Wir alle haben doch irgendwo eine Schwäche für die bösen Kerle. Ganz gleich, ob es sich dabei um den berüchtigten Piraten Captain Jack Sparrow, der seine Verbündeten lieber ans Messer liefert, um seinen Kopf aus der Schlinge ziehen, oder um Gollum aus "Der Herr der Ringe", zwiespältig und hinterlistig ohne Grenzen, handelt. Auch in der Serienwelt gibt es jede Menge fieser Typen, die durch ihre Hauptrollen in Serien jedoch zu heimlichen Fanlieblingen aufstiegen: Tyrion Lannister aus "Game of Thrones", Benjamin Linus aus "Lost", Frank und Claire Underwood aus "House of Cards" und natürlich Serienkiller Dexter - sie alle tun schreckliche Dinge, sind aufgrund ihrer hervorragend geschriebenen Charakterisierung jedoch so sympathisch, dass wir nicht anders können als sie zu lieben und gleichzeitig zu fürchten. Auch der neue Netflix-Hit "You" stellt uns einen solchen Protagonisten vor, von dem wir nie wissen, ob wir ihn nun hassen oder mögen sollen...

YOU - STAFFEL 1


Von der ersten Sekunde, in welcher Guinevere Beck (Elizabeth Lail) seinen Buchladen betritt, ist Joe Goldberg (Penn Badgley) verzaubert von der jungen Studentin. Joe ist ein Stalker, der bis ins kleinste Detail und mit äußerster Vorsicht ins Leben seiner Opfer eintritt und alles daran setzt, dass diese allein ihm gehören. Auch Beck stellt er nach, wobei diese ihm jedoch auch bald zu verfallen scheint. Unter den skeptischen Blicken ihrer Freundinnen, insbesondere der besten Freundin Peach (Shay Mitchell), entwickelt sich zwischen Joe und Beck etwas Tieferes... und Joe muss mit seinem inneren Zwiespalt kämpfen, sein Stalking fortzuführen und seine Traumfrau von den zehrenden, negativen Energien ihrer Umwelt loszuschneiden, dabei jedoch auch selbst glücklich zu werden.

Ich war von der ersten Minute an bereit, "You" zu lieben: Schon in der ersten Szene begegnen sich zwei junge Darsteller auf Augenhöhe, interessante und atmosphärische, innere Monologe des Protagonisten gehen Hand in Hand mit mysteriös-finsteren Andeutungen und einer knisternden, teils romantisch, teils auch einfach aufgelanden wirkenden Grundstimmung. Im weiteren Verlauf der zehn Folgen (die leider viel zu schnell rum sind) tänzelt die Show ziemlich gelungen zwischen seinen Genres hin und her: In vorderster Linie ist es ein Psycho-Thriller, mit Ausflügen zum düsteren Familiendrama, zu einem Hauch Komödie und schließlich sogar zu einem Streifen des Horror-Genres. Nicht immer gelingen der Serie die etwas wagemutigen Tanzschritte, die sie eingehen muss, um all die Figuren, deren Belange und persönliche Probleme und Erkrankungen festzuhalten und unter einen Hut zu bringen. Um sowohl Becks Freundinnen, Joes Nachbarn, Joes Arbeitskollegen sowie einem ganzen Haufen weiterer, teils auch erst später zum Cast stoßender Figuren und deren Beziehungen zu den Hauptfiguren unterzubringen, muss die psychische Entdeckungsreise des Hauptcharakters Joe Goldberg ein wenig leiden. 
Durch seine inneren Monologe, die dem Zuschauer in jeder Folge recht ausschweifend präsentiert werden, erfahren wir zwar eine Menge über ihn, sein Leben, seine Vergangenheit und seine Neigungen, doch so richtig tief eintauchen tun wir nicht. Viel mehr wirken diese Monologe, auch wenn sie für eine Serie wie diese unabdingbar sind, wie ein etwas gezwungener Haken, um in die Seele des Protagonisten blicken zu können... er lässt sich aber nicht immer in die Karten schauen. Anders als bei "Dexter" bauen wir keine echte Bindung zu Joe Goldberg auf, was auch daran liegen mag, dass er schon früh einige Taten vollbringt, die schlichtweg grausam sind: Dexter Morgan hatte, trotz all der Morde und Lügen, immer ein nachvollziehbares Motiv, während Goldberg schlichtweg psychisch krank ist. Er ist zwar auch intelligent, sicherlich charmant, gebildet, gutaussehend und per se kein schlechter Mensch, da uns die Autoren ihn jedoch schon nach kürzester Zeit als kalten Soziopathen vorstellen, fällt es auch im Nachhinein schwer, wirklich mit ihm mitzufiebern. 
Eher drücken wir da schon seiner neuen Auserwählten Guinevere Beck die Daumen, wobei die Autoren auch ihr einige etwas finstere Seiten hinzudichten, was passend und mutig, aber nicht immer gelenk wirkt. So gut sämtliche Figuren dabei geschrieben sind, irgendwann wirkt es etwas repetitiv, wenn wirklich jeder von ihnen noch ein dunkles Geheimnis mitbringt, welches Joe entweder in die Karten spielt oder für ihn zu einer Bedrohung wird. Solcherlei Löcher vergrößern sich mit der Zeit, so auch die offensichtlichen Plotholes, wenn Joes Taten aufgedeckt werden. 
Den Machern lag offenbar mehr Wert an einer spannenden Inszenierung, während die Details in der Handlung bei weiterem Nachdenken zu bröckeln beginnen - es passt alles, aber es wirkt nicht immer glaubwürdig, manchmal sogar arg schräg. Das hemmt den Unterhaltungswert der durchgehend flotten zehn Episoden nicht, aber es ist schon auffällig. Eine durchweg spannende Serie ist "You" aber trotzdem geworden und dementsprechend eine, bei der ich mich nach dem mutigen Cliffhanger schon sehr auf eine zweite Staffel freue. Denn trotz aller Schwächen hat diese erste Season auch massig brillante Momente geboten und Charaktere erschaffen, an die ich mich noch länger erinnern werde und die ihre Komfortzone oft verlassen und dabei auch den Zuschauer fordern.

Fazit: Spannende Psycho-Serie, stark besetzt und weitestgehend gut und packend geschrieben. Nicht alle Charakterzeichnungen wirken gelenk, mit der Zeit häufen sich Glaubwürdigkeitsprobleme, was für die brisante Atmosphäre und einige ganz starke Wendungen sowie zwischenmenschliche Abgründe aber kaum schädlich ist.

Note: 2-




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