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Radio Rock Revolution

Macht man sich heute Gedanken, was noch vor wenigen Jahrzehnten so alles offiziell verboten oder zumindest verpönt war, möchte man beinahe lachen. Heute darf in sämtlichen Medien geflucht und getratscht werden, man darf Haut zeigen, über Sex, Gefühle und Unzucht reden... vor vierzig Jahren sah dies noch anders aus. In den 60ern begann die sogenannte Sternstunde der Rockmusik, etliche, heute schier unsterbliche Künstler kamen an die Oberfläche, wurden zu Weltstars. Bis es jedoch soweit war, dass der Rock auch richtig in die Kultur einging, so wie es heute der Fall ist, dauerte es seine Zeit. Eine zwar fiktive, innerhalb dieser Zeitgeschichte aber gar nicht mal so unglaubwürdige Geschichte erzählt "Radio Rock Revolution"... über eine Gruppe Männer, die sich gegen die Regierung stellen, um sich der Musik zu fröhnen und eine ganze Generation damit zu prägen.

RADIO ROCK REVOLUTION


Der achtzehnjährige Carl (Tom Sturridge) wird von seiner Mutter nach seinem Schulrauswurf auf das Boot seines Patenonkels Quentin (Bill Nighy) geschickt - dort soll er hart arbeiten und sich seine Fehler eingestehen. Problematisch, dass genau dieses Boot jenes von "Radio Rock" ist: Ein Piratensender, der Tag und Nacht feinste Rockmusik spielt, dabei von halb Großbrittanien gehört wird, der Regierung aber ein Dorn im Auge ist. Carl freundet sich mit den bereits zu beliebten Stars aufgestiegenen Crewmitgliedern an, die den Radiosender mit Leib und Seele leiten und wird auch Zeuge von ihrem einzigartigen Lebensstil. Dass dieser auch mal wehtun kann und er sich letztendlich sogar gegen das Gesetz stellen muss, ahnt der Junge zu diesem Zeitpunkt aber noch gar nicht...

Wie man den Film "Radio Rock Revolution" letztendlich bewerten will, wird stark davon abhängen, was man darin eigentlich sehen möchte. Regisseur Richard Curtis, der hiermit erst seine zweite Regiearbeit nach dem Romantic-Meisterwerk "Tatsächlich... Liebe" ansteuerte, interessiert sich weniger für das Erzählen einer austarierten Handlung als viel mehr für das Darstellen eines gewissen Lebensgefühls. Wenn Curtis in Interviews erzählte, dass er als Kind früher ebenso mit dem Radio am Ohr im Bett lag, um heimlich den ansonsten niemals gespielten Rockklängen zu lauschen, möchte man solche Worte gerne glauben, denn die Atmosphäre, die er an Bord seines titelgebenden Bootes kreiert, sucht tatsächlich irgendwie ihresgleichen. Um diese zu erschaffen, hat Curtis gleich einen ganzen Haufen eigener Charaktere zusammengetrieben, die alle für sich für den Rock und dessen Freiheit stehen.
Und um diese kümmert er sich im weiteren Verlauf auch wesentlich mehr als um eine kernige Handlung: Den roten Faden verliert er während den 129 Minuten gleich etliche Male aus den Augen und weiß in dramaturgischer Hinsicht wenig mit dem Geflecht anzufangen, was er hier so entwickelt. Das wirkt sich spürbar negativ auf die menschlichen Konflikte aus, die hier ausgetragen werden und damit zumindest auch ein bisschen auf die Charakterentwicklung. Nicht alle von ihnen, auch wenn Curtis sich müht, ihnen solcherlei Manirismen zuzuschreiben, wollen sich dem Zuschauer ins Herz spielen, da man sich zu wenig darauf konzentriert, sie sympathisch zu schreiben. Es fällt eben schwer, mit einem Mann mitzufiebern, der mit der Geliebten eines guten Freundes schläft, wobei jeder das auch noch irgendwie abnickt und diese Tat im späteren Verlauf kaum noch thematisiert und erst recht nicht geläutert wird. Hier fühlt sich "Radio Rock Revolution" manchmal gar ein wenig falsch an, veralbert Taten, welche die Hauptfiguren verüben, in semi-lustigen Zweikämpfen und geht zu selten in die Tiefe.
Erstaunlich, dass es dem Film darüber hinaus trotzdem gelingt, den Zuschauer mitzuziehen und ihn für das Projekt auf hoher See zu begeistern. Curtis verhebt sich deutlich in den Zwischentönen, kann für die gesamte Atmosphäre aber darauf bauen, dass hier ein Gemeinschaftswerk entstanden ist, dass durchaus Zug besitzt. Es ist manchmal etwas wirr und wischt die Zwischentöne viel zu arg beiseite, als würde es selbst schreien "Scheiß drauf, ist doch alles Rock'n Roll hier!" Auf dramaturgischer Linie ist das nicht sehr zielführend, sieht man "Radio Rock Revolution" aber als Verbeugung vor der Freiheit der Musik, als Auflehnung gegen den Kapitalismus, dann sieht man, dass hier doch eine ganze Menge stimmt... zumindest im groben Kontext. Da wird am Ende sogar, wenn auch etwas unpassend, in die Actionkiste gegriffen und eine gewisse Spannung erhoben, die man so auch nicht kommen gesehen hat... und dass man da doch wieder mitgeht, ist der eindeutige Beweis dafür, dass Curtis trotz dramaturgischer Unstimmigkeiten irgendetwas verdammt richtig gemacht hat.
Erneut besetzt er seine namhafte, britische Starbesetzung herrlich gegen den Strich: Nick Frost als pummeligen Frauenschwarm, "Notting Hill"-Star Rhys Ifans als obercoolen Rocker und ganz besonders Bill Nighy als grandiosen, trockenhumorigen Produzenten sowie Philip Seymour Hoffman als Talkmaster innerhalb der Show. Das funktioniert schauspielerisch ganz ausgezeichnet und die Spielfreude ist allen Beteiligten mehr als anzumerken. "Radio Rock Revolution" ist insgesamt also weniger als die Summe seiner Teile, trotzdem ist dabei aber ein sehr atmosphärisches und flottes Ding herausgekommen, welches Fehler macht und plötzlich wieder richtigliegt. Das klingt eigentlich unmöglich, aber es ist eben doch so. Wie auch immer das hier schon wieder möglich war.

Fazit: Obwohl er sich dramaturgisch verhebt und in den zwischenmenschlichen Konflikten gar völlig falsche Richtungen einschlägt, gelingt es Richard Curtis dank seiner rockigen Atmosphäre und seiner brillanten Besetzung einen stimmigen Musikfilm zu erschaffen. Er ist nicht ganz rund, manchmal etwas ziellos... aber er macht Spaß.

Note: 3+



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