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St. Vincent

Was macht aus uns eigentlich einen guten oder einen schlechten Menschen? Viele Leute sind der Ansicht, dass bereits allgemein "schlechte" Eigenschaften auch einen nicht so guten Menschen aus uns machen. Fluchen, quarzen, saufen, bedeutungsloser Geschlechtsverkehr... wer sein Leben genießt und auf Regeln pfeift, wird von der Gesellschaft oftmals schief angeguckt. Dabei sind genau das doch die bedeutungslosesten Eigenschaften überhaupt und zeichnen keinerlei Bild von dem Menschen, der wirklich dahintersteckt. Kann ein solcher Mensch nicht sogar auch ein Heiliger sein und wieso ist Mutter Theresa in diesem Sinnbild die wichtigere, bessere Person? Das sind große Fragen, mit denen sich die Tragikomödie "St. Vincent" hier in Zügen beschäftigt und dabei den Blick auf die normalen Menschen unter uns festigt... und was sie tun können, wenn sie nur mal mit dem Leben außerhalb ihrer vier Wände konfrontiert werden.

ST. VINCENT


Maggie Bronstein (Melissa McCarthy) befindet sich mitten in einer hässlichen Scheidung und ist gerade mit ihrem Sohn Oliver (Jaeden Lieberher) in die kleine Vorstadt gezogen. Ihr Nachbar ist ein grummeliger, ständig fluchender und saufender Kerl namens Vincent MacKenna (Bill Murray), der mit seinem Geld im Rückstand ist, Schulden bei den falschen Leuten hat und sich zudem im Krankenhaus um seine totkranke Frau Sandy (Donna Mitchell) kümmern muss. Als Maggie mit ihrem Job überfordert ist, bittet sie den einsamen Mann, sich um ihren Sohn zu kümmern... was dieser gegen eine fürstliche Bezahlung sofort zusagt. Unter Vincent lernt der schüchterne Oliver, sich zu verteidigen und erhält einen Blick auf die anderen Seiten des Lebens, was ihn aber auch noch in Schwierigkeiten bringen soll.

Bill Murray ist dieser Tage ja nicht mehr leicht von einem Drehbuch zu überzeugen, für diesen Film kam seine Zusage jedoch wie aus der Pistole geschossen. Das verwundert nicht, ist die Zeichnung dieses grummeligen, ständig fluchenden und sicherlich kein gesellschaftlich anerkanntes Vorbild abgebenden Vincent MacKenna eine Paraderolle für den "Aloha"-Star. Murray beweist erneut sein schier ungebrochenes, komödiantisches Talent, ohne sich dabei selbst zu veralbern. Er bleibt der Figur, die an ihrem Leben eigentlich keine echte Freude besitzt und andere Menschen nicht ausstehen kann, durchaus treu und versteht es, gerade dadurch die Zuschauer zum Lachen zu bringen. Wenn die Situation für Vincent unangenehm, beinahe lebensbedrohlich ist, geht Murray dabei mit einer entblätternden Leichtigkeit heran, die schlichtweg urkomisch ist, die tiefe Dramatik innerhalb dieser Szenen aber auch nicht für billige Lacher verwässert. 
Diese sehr charmante Kombination aus frecher Komödie und sensiblem Drama zieht sich in "St. Vincent" durch sehr unterhaltsame und teilweise bewegende 100 Minuten, wobei es nur selten etwas zu rührselig und kitschig wird. "Abgang mit Stil"-Regisseur Theodore Melfi gelingt es, den Charakteren treu zu bleiben, seine lebensbejahende und dennoch auch angenehm kritische Geschichte mit Humor zu beleben und einen Zugang zu den Figuren zu finden. Sicherlich tappt er dabei auch immer wieder in Klischeefallen - so sind alle Rollen abseits von Vincent und Oliver eigentlich nach einem geradlinigen Muster besetzt und diese Figuren erhalten im weiteren Verlauf auch kaum Facetten, die sie aus der altbekannten Genre-Schublade entlassen würden. 
Überzeugend geraten die Leistungen von Melissa McCarthy, Chris O'Dowd und Naomi Watts aber dennoch, auch wenn Murray und ein sehr überzeugender Jaeden Lieberher, der kurz darauf auch in Filmen wie "The Book of Henry" und "Es" glänzte, dem Rest des Casts die Show stehlen. Lieberher fehlt es als Jungdarsteller zwar noch ein wenig an der enormen Präsenz, die beispielsweise "Raum"-Star Jacob Tremblay mitbringt, insgesamt lässt sich von dieser jungen Karriere aber noch eine Menge erwarten. 
Und wie sieht es nun mit "St. Vincent" im Kern aus? Es ist ein frischer Film, der aber gar nichts Neues erzählt, diese bekannten Erzählmuster aber mit Tempo und frechem Humor aufwerten kann. Natürlich ist das Geschehen auf gewisse Art und Weise vorhersehbar und der Film driftet im letzten Drittel auch etwas zu arg ins Süßliche ab. Die Wandlung des knurrigen Bären hin zum etwas liebenswerteren, zugänglichen Kauz gerät dennoch glaubwürdig und hat während einer Szene in einer Schulaula tatsächlich noch Momente zu bieten, die Zuschauer glatt zu Tränen rühren können. Und wer sich an solcherlei Klischees doch etwas mehr stört, bekommt zumindest eine grandiose Darstellung Murrays geboten, der in jeglicher Szene mit leichtfüßiger Präsenz auftritt und dabei wahres Comedy-Gold liefert - so etwas könnte ich mir auch in schlechteren Filmen tatsächlich noch stundenlang ansehen.

Fazit: Bill Murray ist es, der den Film mit seiner charmanten Mischung aus grummeligem Witz und leiser Tragik beherrscht, die Zuschauer laut lachen und dann wieder leise weinen lässt. Dass die Handlung im Kern etwas klischeehaft ist, kann man aufgrund der großen Gefühle und des gewitzten Humors leicht verzeihen.

Note: 2-






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