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The Neon Demon

Nicolas Winding Refn hat in Hollywood einen ganz speziellen Ruf weg. Seine Filme, insbesondere die neuesten Werke in seiner Filmografie, begeisterten das Gros der Kritiker und haben viele Fans, sprechen in ihrem eigensinnigen Tonfall viele Menschen verschiedenster Altersklassen an. "Drive" gilt heute als modernes Meisterwerk (auch wenn mittlerweile mehr über den brillanten Soundtrack gesprochen wird als über das letztendlich etwas schwammige Gesamtwerk), "Only God Forgives" war ein riskantes, brutales Experiment... und dann kam 2016 "The Neon Demon". Und wenn hier nun sogar die langjährigen Fans, die in Refn nicht weniger als ein Genie seines Fachs sehen, plötzlich nicht mehr d'accord mit dem gehen, was er hier zeigt, dann ist man als Gegner seiner vorherigen Filme ja erst mal gespannt. Tatsächlich reiht sich "The Neon Demon" aber recht artig in die bisherige Liste von Refns Werken ein - dieser Film konnte mich also auch nicht abholen.

THE NEON DEMON


Nach dem Tod ihrer Eltern kommt die sechzehnjährige Jesse (Elle Fanning) nach Los Angeles. Sie strebt dort, trotz ihres jungen Alters und magerer Erfahrungen vor der Kamera, eine Karriere als Topmodel an. Tatsächlich schafft sie es durch ihre natürliche Ausstrahlung, einen Platz in den höheren Gefilden der Modelwelt zu ergattern, wo sie sich unter Fotografen und Coachs Freunde, unter ihren wesentlich weniger angesehenen Konkurentinnen aber auch Feinde macht. Mit der Zeit verändert der neue Lifestyle auch Jesse's Persönlichkeit, was schließlich zu einer grauenvollen Konfrontation mit sich selbst und ihren Leidensgenossinnen führt...

Nun gut, was will er also diesmal? Nicolas Winding Refn zehrt noch immer irgendwie von seinem Überraschungserfolg mit "Drive", was danach kam, lockte aber kaum noch jemandem hinter dem Ofen hervor. Refn macht gewalttätige Filme unter dem Deckmantel der Kunst, er täuscht mit perfekt durchkomponierten Bildern und einem entwaffnenden, grandiosen Synthie-Soundtrack darüber hinweg, dass seine Werke weitestgehend leere Filme sind. "Bronson" und meinetwegen auch "Drive" kann man dabei gerne ausklammern, aber was Refn seit dem unsäglichen "Only God Forgives" macht, entzieht sich meinem Verständnis. Will er einen Film über die miese, fiese Modelveranstaltung drehen, wo junge Frauen sich plötzlich vor der Kamera entblättern und anschließend miesen, fiesen Zickenkrieg untereinander lostreten, weil die eine ja doch viel hübscher ist als die andere? Will er aufzeigen, wie ein junger Mensch psychisch zerknackst werden kann, wenn er im Scheinwerferlicht steht und unter dem Druck der Öffentlichkeit zusammenbricht? Ja, starke Themen, aber da reicht dann eigentlich auch eine weitere Sichtung von "Black Swan", zumindest wenn Refn dem Thema wie hier nichts hinzuzufügen weiß. 
Womöglich war das aber auch gar nicht seine Absicht. Womöglich wollte er zum wiederholten Male schockieren und greift deswegen noch tiefer in die Trickkiste des Ekels. Diesmal sehen wir Kannibalismus, Nekrophilie, Vergewaltigunge, Belästigung einer Minderjährigen... juhu, das sind doch mal starke Themen, oder? Refn nutzt diese aber eben nur zum Ausdruck seiner gestörten Aussagen, er will dem Zuschauer damit nichts auf den Weg geben. Er macht den Kram einfach, weil er unsere Kinnladen herunterfallen sehen will, weil wir uns ekeln sollen, weil wir uns fragen sollen, was hier denn nun los ist. Ob das nun Sinn und Verstand hat? Ist eigentlich nicht so wichtig, es fließt schließlich Blut. 
In den schlimmsten Momenten eines Films, der grandios aussieht und ansonsten eine Luftblase ist, mit nichts weiter als Armut gefüllt, kam mir Refn wie ein verblendeter Teenager vor, der überhaupt nicht weiß, wohin er seine Energie steuern soll. Einer, der noch in der Findungsphase ist und deswegen mit Sexualität wenig mehr als das anfangen kann, worüber die anderen coolen Kids auf dem Schulhof so reden. Nur so lässt sich eigentlich erklären, wie merkwürdig falsch und feindlich Refn die Taten einer zurückgewiesenen Lesbe portraitiert und auch darüber hinaus dem reinen, frauenfeindlichen Klischee anheim fällt. 
Da kann er in seinen Bildern noch so sehr aussagen, dass das hier doch feinste Filmkunst ist, ein Indie-Film, so mutig und extravagant... aber der Inhalt zeigt, dass das nur noch stumpf ist. Nur noch provozierend, ohne Hintergedanken. So etwas muss man sich nicht ansehen, denn Refn hat bei mir das Ziel des Ekels, des Schocks nicht erreicht. Verzeihung, aber sich gegenseitig auffressende Menschen schockieren mich im fiktionalen Film nicht mehr, ich habe schließlich "Wrong Turn" gesehen. Und auch nackte Brüste und Frauen, die gemeinsam unter dem Wasserstrahl in Zeitlupe duschen, sind für mich nun nicht so besonders, dass ich deswegen voller Begeisterung rufen muss: "Ja, Refn, DAS ist Kunst!" Nein, das ist so gar nichts gewesen. Vielleicht sollte sich der Herr aber mal auf Werbeclips spezialisieren, denn optisch brillante Schnipsel, in denen handlungstechnisch rein gar nichts herumkommt außer sinnfreie Schreierei, das hat er offensichtlich drauf.

Fazit: Natürlich sieht Refns neuester Kinofilm wieder einmal großartig aus. Natürlich fehlt es da aber auch unter dem Deckmantel der Kunst an Plot, an Herz, an Hirn. Alles ist seltsam, alles ist provokant und nimmt sich enorm wichtig. Dass es auch dumm ist, leitet sich davon schnell ab. Refn hat sein Handwerk technisch nicht verlernt, aber er weiß offenbar auch nicht mehr, was er noch erzählen soll.

Note: 4-




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