Louise (Nina Hoss) lebt seit über zweihundert Jahren als Vampirin und hat sich über diese lange Zeit hinweg mit der ehemaligen Stummfilm-Schauspielerin Charlotte (Jennifer Ulrich) und dem Partygirl Nora (Anna Fischer) zwei Gefährtinnen herbeigeholt, mit denen sie die Unsterblichkeit teilt. Nun hat Louise nach längerer Wartezeit auch ein Auge auf eine weitere Kandidatin geworfen, welche sie mit einem Biss zum ewigen Leben verfluchen und somit auch Einlass zu ihrer "Familie" gewähren will: Die mittellose Diebin Lena (Karoline Herfurth) ist auf der Flucht vor dem Gesetz und wird von Louises Biss förmlich überrumpelt. Nach anfänglichem Schock lebt sie sich jedoch in das schier grenzenlose Vampir-Dasein ein... bis sie die wahren Absichten ihrer Familie zu erkennen beginnt.
Nach den ersten zehn Minuten dieses Films ist man beinahe ein wenig traurig, dass er sich dem damals durch und durch gehypten Vampirthema annehmen wird. Denn die Einführung der neben dem Gesetz stehenden Lena, inklusive einer flotten und humorvollen Verfolgungsjagd, ist so treffsicher, charmant und temporeich, dass "Die Welle"-Regisseur Dennis Gansel sich auch locker für eine rein menschliche Geschichte aus den Krisenzirkeln seiner wunderbar inszenierten Stadt Berlin empfehlen würde. Das heißt aber nicht, dass er seinen Fantasy-Teil, gewürzt mit einer starken Mischung Horror und auch einigen sehr menschlichen Konflikten, nicht unter Kontrolle hätte. Nein, Gansels Herzensprojekt, für welches er über Jahre hinweg keinen Abnehmer fand, bis mit der wahnsinnig erfolgreichen "Twilight"-Reihe der Vampir-Hype eine Produktion endlich in Gang brachte, sprüht tatsächlich vor Genre-Charme und ist ein mehr als überzeugender Horrorfilm aus deutschen Landen. Die Inszenierung ist dabei über jeden Zweifel erhaben und muss sich in Sachen Editing, visuellen Effekten und Make Up keinesfalls hinter den großbudgetierten Produktionen aus Amerika verstecken.
Und obwohl es ziemlich blutig wird und auch in Sachen Action einiges aufgefahren wird, ist "Wir sind die Nacht" abseits seines Vampirthemas (dessen Klischees Gansel hier mal genau einhält und mal recht clever bricht) in erster Linie ein starkes Emanzipations-Drama. Die anfangs drei und später vier starken Frauen haben sich ganz bewusst von den männlichen Geschöpfen ihrer Art abgewandt, um sich nun nicht mehr unter deren Fittiche stellen zu müssen. Gansel findet dabei starke Worte und Bilder für die Geschichte von vier Frauen, die sich gegen die Ungerechtigkeit und den Sexismus der vergangenen und heutigen Zeit wehren. Für die vier Hauptdarstellerinnen ist das ein gefundenes Fressen und insbesondere Karoline Herfurth macht als getriebene und schließlich einen Kampf gegen sich selbst führende Lena eine starke Figur, die weit weg von dem ist, was sie sonst (ebenfalls gut) in diversen Komödien aufs Parkett legt. Brillant agieren auch "Groupies bleiben nicht zum Frühstück"-Star Anna Fischer, die in ihrer wilden Performance immer wieder kleine, feine Verletzlichkeiten offenbart; und Gansels damalige Freundin Jennifer Ulrich als Charlotte, deren Leben nur noch ein Fluch für sie zu sein scheint. Es ist ausgerechnet Nina Hoss, deren mystische Präsenz hier in Teilen etwas aufgesetzt wirkt - vielleicht auch, weil das Drehbuch ihren Part mit fortschreitender Laufzeit zu simpel zurechtstutzt.
Das Problem des Films ist nämlich seine viel zu knackige Laufzeit im direkten Vergleich mit den vielen Haupt- und Nebenplots, die er aufmacht. Sie alle sind an sich stark und dramaturgisch fein ausgearbeitet, leider bekommen die meisten von ihnen in den viel zu flotten 95 Minuten aber zu wenig Luft zum Atmen. Gerade die Beziehung zwischen Louise und Lena leidet darunter, dass sie erst nur angedeutet wird und dann ziemlich schnell eskaliert. Auch die ansonsten so sympathische Einführung seiner Hauptfigur bleibt eher eine Faktengrundlage, durch welche wir das, was Lena durch den schicksalhaften Biss verliert, höchstens erahnen können. Eine schöne Idee war auch der Plot rund um den jungen Polizisten Tom, gespielt von "Sense 8"-Star Max Riemelt, der Lena wegen einer Lappalie verfolgt und schließlich daran ist, das Geheimnis aufzudecken, dessen Teil diese dann wurde. Auch hier gilt jedoch, dass die aufkeimenden Gefühle zwischen Tom und Lena und auch deren weitere Ausführung wesentlich besser funktioniert hätten, wenn man ihnen mehr Zeit hätte einräumen können. Es ist mehr als nachvollziehbar, dass Gansel sich von keiner dieser Geschichten (auch Nora und Charlotte bekommen noch eigene Dramen angedichtet) trennen wollte, da sie auf dem Papier allesamt mehr als nur interessant sind. Leider beklaut sich die Masse dieser Geschichten gegenseitig an Intensität und machen "Wir sind die Nacht" somit zu einem handwerklich herausragenden, sehr spannenden und ungemein kreativen Beitrag des deutschen Vampirfilms, der an seinen sehr hohen eigenen Intentionen aber auch ein wenig scheitert.
Fazit: Dennis Gansel liefert einen fast durch und durch beeindruckenden Vampirfilm ab, der durch seine starke Inszenierung, hervorragende Schauspielerinnen und etliche originelle Ideen besticht. Leider sind all diese Einfälle aber auch zu viel des Guten, da die vielen Plots in der komprimierten Laufzeit zu wenig atmen können.
Note: 3+
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