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Die Vergessenen (2004)

Telly Paretta (Julianne Moore) hat ihren Sohn Sam (Christopher Kovaleski) vor vierzehn Monaten durch einen schrecklichen Flugzeugabsturz verloren. Mit der Hilfe ihres Therapeuten Dr. Jack Munce (Gary Sinise) gelingt es ihr Schritt für Schritt, den Verlust zu verarbeiten... bis ihr eines Tages all ihre nahestehenden Menschen erklären wollen, dass Sam niemals wirklich existiert hat. Munce spricht von einer Psychose aufgrund einer Fehlgeburt, doch Telly ist sich sicher, dass ihre Erinnerungen an ihren Sohn echt sind. Um herauszufinden, was wirklich mit ihr los ist, flüchtet Telly von zuhause und sucht den ehemaligen Eishockey-Spieler Ash Correll (Dominic West) auf, dessen Tochter ebenfalls bei dem Unglück ums Leben kam. Doch auch dieser will ihr erst keinen Glauben schenken, bis Telly mit scheinbar unwiderruflichen Beweisen ein Umdenken bewegen kann...

Es ist im Grunde ein alter Hut des Mystery-Thrillers: Wir lernen eine Protagonistin kennen, die ein schweres Trauma zu verarbeiten hat und um die sich schließlich eine Geschichte entspinnt, die entweder eine grausame Verschwörung oder auch einfach eine Einbildung der Heldin sein könnte. Zwar spielt auch "Die Vergessenen" mit diesem Szenario und will den Zuschauer möglichst lange im Dunkeln darüber lassen, ob die mysteriösen Ereignisse nun von außen oder doch aus dem Hirn der Protagonistin stammen, allerdings fallen diese falschen Fährten von Anfang an recht krude aus, weswegen zumindest ein Teil der Lösung recht schnell auf der Hand liegt. Der Film entwickelt sich dabei von einem sensiblen Drama hin zum Mystery-Thriller und schließlich sogar zum Actionfilm, der Verfolgungsjagden, Schusswechsel und Prügeleien beinhaltet. Das alles wird unter der Hand von "Der Feind in meinem Bett"-Regisseur Joseph Ruben solide inszeniert, wobei das Tempo in den flott vergehenden 91 Minuten konstant hochgehalten werden kann.
Schauspielerisch bewegt man sich auf gutem Niveau, auch wenn man alle Beteiligten schon besser gesehen hat. Julianne Moore ist in der Rolle der mutigen Mutter, die alles für das Leben ihres Kindes tun würde, natürlich eine hervorragende Wahl. Je kruder das Skript jedoch wird (mehr dazu später), desto mehr gleicht auch ihre Performance eher der eines herumgescheuchten Tieres. In einer nuancierten Darstellung, die dadurch viel Kraft in sich trägt, überzeugt "Tote Mädchen lügen nicht"-Star Gary Sinise, während Dominic West in der zweiten Hauptrolle auch physisch kräftig mitmischen darf. Weit unter ihren Möglichkeiten verbleiben hingegen Alfre Woodard, die als skeptische Polizistin vom Drehbuch im Stich gelassen wird; und der aus der Politserie "Designated Survivor" bekannte Anthony Edwards als Tellys überforderter Ehemann, der hier auch eher Spielball der Handlung ist und selbst nicht wirklich eingreifen kann. Für einen kleinen Thriller wie diesen gerät die Besetzung dennoch sehr ansprechend, doch auch sie können nicht über das marode Skript hinwegspielen.
Wo sich "Die Vergessenen" nämlich eigentlich recht ordentlich schlägt, so klappt dieses Grundgerüst mit der letztendlichen Auflösung vollends in sich zusammen. Die erste klare Antwort darauf, was es denn nun mit diesem Mysterium auf sich hat, folgt zwar in einem ziemlich intensiven Schockeffekt und auch während des Showdowns kommt es noch zu einigen visuellen Momenten, die durchaus erschrecken können. Denkt man jedoch nur eine Minute lang über das nach, was uns die Autoren hier als Antwort auf allerlei gestellte Mysterien verkaufen wollen, bleiben nicht nur etliche Plotholes, die kaum zu übersehen sind, sondern auch ein reichlich kruder Mischmasch, der ebenso kitschig wie sinnfrei vorgetragen wird. Zwar ist der Weg zu einer solchen Auflösung nur folgerichtig, wird als solcher aber auch ziemlich vermurkst dargeboten, sodass sich am Ende nur noch mehr Fragezeichen auftun als zuvor. Es entsteht der Eindruck, die Autoren hätten selbst nicht mehr gewusst, wie sie all diese Fäden noch zusammenführen wollen, weswegen man den Weg des geringsten Widerstands ging: Die Zuschauer mit allerlei schockierenden Wendungen taubschießen, in der Hoffnung, dass niemand genauer darüber nachdenken würde, sobald sich die Überraschung gelegt hat. Blöd nur, wenn manch einer das (hoffentlich) trotzdem tut.

Fazit: Eine vollkommen vermurkste Auflösung ruiniert einen bis dahin ordentlichen Mystery-Film. Wer mit der letztendlich löchrigen und unoriginellen Antwort seinen Frieden machen kann, dem sei "Die Vergessenen" ansatzweise zu empfehlen. Alle anderen bekommen einen solide inszenierten Film, der am Ende aber selbst nicht mehr weiß, wie er all das, was er zuvor durcheinander gebracht hat, wieder aufräumen soll.

Note: 4+





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