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Ammonite

Im 19. Jahrhundert arbeitet die Fossiliensammlerin Mary Anning (Kate Winslet) an der Südküste von England - da sie eine Frau ist, wird ihre Arbeit zwar bewundert, sie selbst findet in ihrem Beruf jedoch kaum Anerkennung. Eines Tages erscheint ihr Kollege Roderick Murchison (James McArdle) mit einer ungewöhnlichen Bitte in ihrem Atelier - er möchte seine schwer depressive Frau Charlotte (Saoirse Ronan) als Helferin in Marys Dienste stellen, um ihr so womöglich eine Leidenschaft zu geben, die sie von ihrer Schwermut befreit, während er selbst auf beruflichen Reisen ist. Erst eine Entlohnung bringt die zuvor kaum überzeugte Mary dazu, das Angebot anzunehmen. Während ihrer gemeinsamen Arbeit und auch der Pflege Charlottes kommen sich die beiden Frauen jedoch deutlich näher, als dies von Seiten Marys zuvor geplant gewesen ist...

Großartige Originalität oder einen Film, der innerhalb seiner aktuellen Themen etwas bietet, was wir so noch nicht gesehen haben, muss man bei "Ammonite" nicht erwarten. Und das ist durchaus schade, denn ein kleiner, feiner Film wie dieser hätte vielleicht auch ein paar so noch nicht erzählte Winkel einer ansonsten in dieser Form bekannten Geschichte erforschen können. Die Romanze zweier Frauen während einer Zeit, in der nicht nur Frauen in Arbeitspositionen nicht beachtet wurden, sondern auch lesbische Beziehungen abgestraft wurden, hat natürlich in dieser Form das Zeug zu einem großen Drama. Umso trauriger ist es, dass sich der großartige Regisseur Francis Lee in seinem zweiten Lang-Spielfilm viel zu oft auf Klischees verlässt - sowohl auf die Klischees einer Geschichte dieser Form als auch die Klischees eines Indiefilmes. Besonders zu tragen kommt dies in den intimen Szenen zwischen Mary und Charlotte, wobei sich deren sexuelle Spannung wie gewohnt in einem plötzlichen Moment vollkommen entlädt. Dank Lee's sauberer Inszenierung geht diesen Momenten zwar kein Gefühl verloren, doch wird man das Gefühl nicht los, dass er gerade in diesen intimen Blicken durchs Schlüsselloch etwas zu eifrig nach Lehrbuch inszeniert.
Das klingt nun etwas negativer als es letztendlich gemeint ist. Denn erwartungsgemäß ist "Ammonite" ein bemerkenswert stilles, wunderschön gefilmtes und in seinen Charakterzeichnungen sehr genaues und spannendes Portrait zweier junger Frauen, gefangen in einer Gesellschaft, die sie nicht akzeptieren will, geworden. So entwickelt sich die Beziehung zwischen Mary und Charlotte sehr langsam, was Lee genug Zeit gibt, um das Seelenheil (oder auch Unheil) seiner beiden zentralen Figuren genau zu erforschen. Vieles bleibt dabei auch gewollt im Dunkeln, anderes wälzt er auf beinahe unangenehm ehrliche Art und Weise weiter aus. Das ist insofern schon alles sehr bewegend, aber eben auch nichts, was wir in den letzten Jahren nicht schon mehrfach und auch besser, mutiger und eindringlicher gesehen haben. Das Drehbuch reißt dabei keine Bäume aus, muss es aber auch gar nicht - so wirkt der Film zu keinem Zeitpunkt überzeichnet, die Handlungen der Charaktere bleiben glaubhaft. Lee findet dabei ein homogenes Konstrukt aus romantischen Momenten und den grauen Skizzen des schnöden Alltags im Leben einer Frau, die sich nicht so ausleben darf wie sie es sollte. 
Das Glanzstück dieses Films sind letztendlich dessen zwei Hauptdarstellerinnen. Kate Winslet und Saoirse Ronan, zwei der jeweils besten Schauspielerinnen ihrer Generation, agieren auf der höchsten Stufe ihres Könnens - sowohl für sich als auch in ihren vielen gemeinsamen Szenen kann man sich an beiden kaum sattsehen. Winslet scheint dabei fast auf den Spuren eines weiteren Oscars zu wandeln (tatsächlich ging "Ammonite" bei den diesjährigen Nominierungen für den Goldjungen jedoch komplett leer aus), während Ronan so gut wie immer agiert... und das ist eben verdammt gut. Unterstützt werden die beiden Damen von einigen namhaften Nebendarsteller*innen, die jedoch in ihren Figuren, deren Kreise etwas enger gesteckt werden, nicht mit Winslet und Ronan konkurrieren können. Trotzdem hat mich besonders die Performance des ehemaligen "Harry Potter"-Stars Fiona Shaw erfreut, die in ihren wenigen Szenen eine ungemein kraftvolle Ausstrahlung an den Tag legt. Auch Gemma Jones kann in der Rolle von Marys kranker Mutter durchaus erinnerungswürdige Akzente setzen, während die männlichen Darsteller in ihren Rollen eher Mittel zum Zweck bleiben.

Fazit: "Ammonite" ist besonders bezüglich seiner beiden grandiosen Hauptdarstellerinnen ein bewegendes Erlebnis. Trotzdem hätte man diesem sicher inszenierten und klug erzählten Film gewünscht, dass er etwas mehr bietet als die übliche Mär, die darüber hinaus zu wenig Mut und Eigenständigkeit aufweist und dabei bisweilen sogar etwas klischeehaft und hölzern anmutet.

Note: 3



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